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The Acid House (German Edition)

The Acid House (German Edition)

Titel: The Acid House (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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Film schon jetzt anzustreichen, noch bevor er ihn sich angesehen hatte. Er widerstand diesem Impuls, indem er sich ermahnte, dass man den Film zuerst sehen musste. Es gab so viele Dinge, die einem dazwischenkommen konnten. Man konnte durch das Telefon oder ein Klopfen an der Tür gestört werden. Der Videorekorder konnte plötzlich spinnen und das Band auffressen. Man konnte einem schweren Herzinfarkt erliegen. Derartige Vorkommnisse waren bei ihm alle gleich unwahrscheinlich, überlegte er, dennoch hielt er an seinem Aberglauben fest.
    Im Büro, in dem er arbeitete, nannten sie ihn Video Kid, aber nur hinter seinem Rücken. Er hatte keine echten Freunde und nicht die Art Persönlichkeit, die zur Vertraulichkeit ermutigte. Er war nicht etwa unangenehm oder aggressiv, ganz im Gegenteil. Ian Smith, der Video Kid, war lediglich extrem selbstgenügsam. Obwohl er erst seit vier Jahren in der städtischen Planungsabteilung arbeitete, wussten die meisten seiner Kollegen nur wenig von ihm. Er verkehrte privat nicht mit ihnen und war mit Angaben über persönliche Dinge überaus zurückhaltend. Da Smith an seinen Arbeitskollegen nicht interessiert war, erwiderten sie sein Desinteresse und machten sich gar nicht erst genügend Gedanken über diesen unscheinbaren Menschen, um in seinem Schweigen eine Andeutung von Rätselhaftigkeit wahrzunehmen.
    Aber jeden Abend lieh sich Smith zwei bis vier Videos in der Videothek aus, an der er auf dem Nachhauseweg vorbeikam. Wie viele er letztendlich auslieh, hing vom Fernsehprogramm ab, und mit seinem Satellitenanschluss hatte er eine große Auswahl. Zusätzlich war er Mitglied in mehreren spezialisierten Videoclubs, die alte, seltene, ausländische, pornografische und Autorenfilme führten, Filme, die im Halliwell’s standen, aber in den Videotheken nicht zu bekommen waren. Während des Abendessens stellte er normalerweise einen Plan auf, was er sich demnächst ansehen wollte, ein Plan, von dem er niemals abwich, wenn er ihn einmal kompiliert hatte.
    Wenn Ian Smith sich gelegentlich ein paar Soaps und Fußballberichte auf Sky Sport ansah, dann meistens nur, um die Zeit totzuschlagen, weil auf dem Sky-Spielfilmkanal, im Videoladen oder in der Post nichts Sehenswertes dabei gewesen war. Er hatte stets den aktuellsten Halliwell’s Film Guide im Haus und strich mit religiösem Eifer jedenFilm, den er gesehen hatte, mit gelbem Marker an, außerdem gab er ihm eine eigene Wertung in einer aufsteigenden Skala von 0 bis 10. Zusätzlich führte er ein Notizheft, in dem er sämtliche Neuerscheinungen auflistete, die noch nicht den Weg in die »Bibel« gefunden hatten. Jedes Mal, wenn eine aktualisierte Ausgabe des Halliwell’s erschien, musste Smith die markierten Stellen in den neuen Text übertragen und die alte Ausgabe fortwerfen. Wie unter Zwang verwandte er oft seine ganze Mittagspause auf diese prosaische Pflichtübung. Inzwischen waren nur noch sehr wenige Filme unmarkiert geblieben.
    Zeit als umfassenderes Konzept, über den täglichen Trott von Arbeit, Videogucken und Schlaf hinaus, wurde für Smith unerheblich. Die Wochen und Monate, die vorbeiflogen, ließen sich nicht anhand von Veränderungen oder Ereignissen in seinem Leben nachzeichnen. Er hatte beinahe vollständige Kontrolle über seine Schmalspurexistenz.
    Doch manchmal gelang es einem Film nicht, ihn zu fesseln, und er sah sich gezwungen, über sein Leben nachzudenken. Das geschah während Mad Max III – Jenseits der Donnerkuppel . Die beiden ersten Max-Teile waren Low-Budget-Klassiker gewesen. Beim dritten Teil hatten sie versucht, Max auf Hollywood zu trimmen. Er kämpfte redlich um Smiths Aufmerksamkeit, deren Grad stets abnahm, je weiter der Abend fortschritt. Aber der Film musste bis zu Ende gesehen werden; damit war wieder einer in seinem Buch abgehakt, und es waren jetzt nicht mehr viele übrig. Heute Abend war er müde. Smith war zwar kein Mensch, der zur Selbstbeobachtung neigte, doch wenn er müde war, sickerten Gedanken, die er normalerweise unterdrückte, in sein bewusstes Denken durch.
    Seine Frau hatte ihn vor mittlerweile fast einem Jahr verlassen. Smith saß in seinem Sessel und versuchte, einGefühl von Schmerz und Verlust hochkommen zu lassen, aber irgendwie gelang es ihm nicht. Er konnte nichts empfinden, höchstens ein vages, beunruhigendes Schuldgefühl, weil er keine Gefühle aufbrachte. Er dachte an ihr Gesicht, an den Sex mit ihr, daran geilte er sich auf und schaffte es, nach minimaler Masturbation zu

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