The Acid House (German Edition)
Sie waren erleichtert, denn sie waren es längst leid, nervös die peinlichen Gesprächspausen zu überbrücken, die Smith nicht zu bemerken schien. Seine unregelmäßigen Besuche im Pub hörten ebenfalls auf. Seinem Bruder Pete und seinem besten Freund Dave Carter (immerhin gut genug, um sein Trauzeuge zu sein) fiel seine Abwesenheit nicht weiter auf. Einer der Stammgäste sagte: – In letzter Zeit sieht man Wieheißternoch gar nicht mehr.
– Aye, sagte Dave. – Weiß auch nicht, was er treibt.
– Zuhälterei, Schutzgelderpressung, Auftragsmorde wahrscheinlich, sagte Pete hämisch lachend.
In dem Wohnblock, in dem Smith lebte, brüllten die Marshal-Kinder und strapazierten die Nerven ihrer ohnehin schon zerrütteten und sozial isolierten Mutter noch mehr. Peter und Melody Syme bumsten mit der ganzen Leidenschaft eines frisch aus den Flitterwochen zurückgekehrten Paars. Die alte Mrs. Arthur machte Tee oder hätschelte ihre rot-weiße Katze. Jimmy Quinn in der Wohnung nebenan hatte ein paar Freunde zu Besuch, und sie rauchten Hasch. Ian Smith guckte Videos.
Auf der Arbeit beschäftigte ein Zeitungsaufmacher die Leute. Ein sechsjähriges Mädchen namens Amanda Heatley war wenige Meter von ihrer Schule entfernt vom Bürgersteig in ein Auto gezerrt worden.
– Was für ein Tier tut denn so etwas? fragte Mike Flynn empört und zornig. – Den Drecksack würd ich gern in die Finger kriegen …, er verstummte drohend.
– Er braucht offensichtlich Hilfe, sagte Yvonne Lumsden.
– Dem würd ich helfen. Mit ner Kugel im Kopf.
Sie diskutierten von ihren polarisierten Standpunkten aus, der eine auf das Schicksal des gekidnappten Mädchens und die andere auf die Beweggründe des Kidnappers fixiert. Als sie in eine Sackgasse geraten waren, wandten sie sich an einen unbehaglich blickenden Smith als neutrale Instanz.
– Was meinst du, Ian? fragte Yvonne.
– Keine Ahnung. Ich hoffe bloß, sie finden das Kind unverletzt.
Yvonne fand, Ian Smiths Tonfall ließe darauf schließen, dass er diesbezüglich keine große Hoffnung hatte.
Kurz nach dieser Diskussion fasste Smith den Entschluss, Yvonne einzuladen. Sie lehnte ab. Er war weder überrascht noch enttäuscht. Eigentlich hatte er sie nur eingeladen, weil er das Gefühl hatte, er müsse es tun, nicht weil er es wirklich wollte. In der Post war eine Einladung zur Hochzeiteines Vetters gewesen. Smith hatte das Gefühl, er sollte in Begleitung erscheinen. Wie üblich ging er nach Hause zu einem Videowochenende. Er entschied sich, die Einladung auszuschlagen und eine Krankheit als Entschuldigung vorzuschieben. Es ging ein Grippevirus um.
An diesem Samstagabend besuchte ihn sein Bruder Pete. Smith hörte das Klingeln zwar, ignorierte es aber. Er hatte keine Lust, Point Break zu unterbrechen, weil gerade eine Schlüsselszene kam, in der FBI – Undercoveragent Keanu Reeves sich mit dem Surfer Patrick Swayze anfreunden wollte, und sie dann gemeinsam gegen ein paar gemeingefährlich aussehende Widersacher antraten. Am nächsten Abend klingelte es wieder. Smith ignorierte es, Blue Velvet war gerade so spannend.
Durch den Türschlitz wurde ein Zettel geworfen, den Smith erst am Montagmorgen entdeckte, als er gerade zur Arbeit gehen wollte. Darauf wurde ihm mitgeteilt, dass seine Mutter einen Schlaganfall gehabt hatte und es ihr sehr schlecht ging. Er rief Pete an.
– Wie geht es Mum? fragte er und hatte ein schlechtes Gewissen, weil es ihm nicht gelang, mehr Betroffenheit in seine Stimme zu legen.
– Sie ist letzte Nacht gestorben, teilte ihm Petes hohle, tonlose Stimme mit.
– Ah … tja …, sagte Smith, dann legte er den Hörer auf. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
Seit er vor einem Jahr Satellitenfernsehen bekommen hatte, hatte Ian Smith nur dadurch zwanzig Kilo zugenommen, dass er im Fernsehsessel hockte und Kekse, Schokolade, Eis, Backfisch, Pizzas, Gerichte vom Chinaimbiss und Mikrowellenmahlzeiten in sich hineinstopfte. Er hatte sogar angefangen, sich gelegentlich krankschreiben zu lassen, um auch morgens und nachmittags Videos sehen zukönnen. An dem Morgen, als er vom Tod seiner Mutter erfuhr, ging er allerdings zur Arbeit.
Bei der Beerdigung spürte er einen leichten Schmerz in der Brust; ein scharfer Gegensatz zu dem betäubten Gram seines Bruders und der fassungslosen Hysterie, die seine ältere Schwester an den Tag legte. Smith spürte seinen Schmerz am schärfsten, wenn er an die Liebe dachte, die sie ihm als Kind gegeben hatte. Allerdings
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