The Attack
müssen. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy bemerkt sehr treffend: »Die Reaktion der Taliban auf die Usama Bin Ladin und die USA 45
Forderung der USA, Bin Ladin auszuliefern, war ungewöhnlich vernünftig: Zeigt uns die Beweise, und wir geben ihn euch. Präsident Bush reagierte mit der Bemerkung, das sei keine Frage von Verhandlungen.« Sie fügt einen der Gründe hinzu, warum ein solches Vorgehen für die USA unakzeptabel ist: »Wenn es um Aus-lieferungen geht, würde Indien gerne einen Nebenantrag auf die Auslieferung des US-Bürgers Warren Andersen stellen. Er war der Vorsitzende der Union Carbide und als solcher verantwortlich für den Giftgasunfall in Bhopal, der 1984 16 000 Menschen tötete. Wir haben die
notwendigen Beweise. Es steht alles in den Akten.
Könnten wir ihn, bitte, haben?«1
Wir brauchen keine Beispiele zu erfinden. Die Regierung Haitis hat die Vereinigten Staaten um die Auslieferung von Emmanuel Constant ersucht, einen der brutalsten parami-litärischen Führer zu der Zeit, als die Regierungen Bush sen. und Clinton (anders als gern geglaubt wird) der damals herrschenden Junta und ihrer reichen Wählerschaft stillschweigende Unterstützung gewährten. Constant wurde in Haiti für seine Verantwortung für die Massaker in Abwe-senheit zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Ist er ausgeliefert worden? Haben die Medien sich um die Angelegenheit gekümmert? Die Antworten fallen negativ aus, und dafür gibt es handfeste Gründe: Die Ausweisung könnte zur Aufdeckung unliebsamer Verbindungen zwischen Washington und der Junta führen. Und überdies sind bei den von ihm initiierten Greueltaten ja nur etwa 5000
Personen umgekommen. Solche Beobachtungen rufen bei vielen Leuten im Westen, die sich als Liberale bezeichnen, wahre Wutanfälle hervor. Aber für den, der seine moralische Integrität bewahrt hat, und auch für viele Opfer sind diese Beispiele höchst instruktiv.
46 Noam Chomsky
Der von Arundhati Roy erwähnte Fall gehört sogar
noch zu den geringfügigeren, auch weil es sich dabei nicht um ein Staatsverbrechen handelte. Nehmen wir an, der Iran würde die Auslieferung hoher Beamter der Regierungen Carter und Clinton fordern, jedoch die Beweise - die es gibt - für die von ihnen ins Werk gesetzten Verbrechen verweigern. Oder Nicaragua würde die Auslieferung des neuernannten UN-Botschafters der USA fordern, eines Mannes, der in Honduras, praktisch einem Lehensbesitz der Vereinigten Staaten, als (wie er genannt wurde)
»Prokonsul« tätig war, wo er die Verbrechen der von ihm unterstützten Staatsterroristen aus nächster Nähe beobachten konnte, und der von dort aus den terroristischen Krieg gegen Nicaragua kontrollierte. Wären die USA bereit, diese Personen auszuliefern? Oder würde die Forderung bloß Gelächter hervorrufen?
Und das wäre nur der Anfang. Besser, man läßt die Türen geschlossen und bewahrt das hoheitliche Schweigen, das herrscht, seit jemand, der die vom Internationalen Gerichtshof als Terrorismus verurteilten Operationen leitete, nun dazu berufen wurde, einen »Krieg gegen den Terrorismus« zu führen. Da würde es selbst Jonathan Swift die Sprache verschlagen.
Vielleicht ist das der Grund, warum die PR-Experten der Regierung den mehrdeutigen Ausdruck »Krieg« dem unzweideutigen Ausdruck »Verbrechen« vorzogen. Der Anschlag vom 11. September war, wie Robert Fisk, Mary Robinson und andere richtig sagten, ein »Verbrechen gegen die Menschheit«.
Usama Bin Ladin und die USA 47
Wie auf Gewalt reagieren?
Wenn Staaten angegriffen werden, verteidigen sie sich, sofern sie dazu in der Lage sind. Allerdings sind die wenigsten willens oder fähig, Gleiches mit Gleichem zu ver-gelten, sonst hätten Nicaragua, Südvietnam, Kuba und viele andere Länder US-amerikanische Städte bombardieren müssen, und die Palästinenser hätten für ihre Anschläge in Israel Beifall verdient. Die Vergeltungsdoktrin hatte Europa nach zwei Weltkriegen an den Rand der Selbst-vernichtung geführt, weshalb die Nationen der Welt danach sich bemühten, die zwischenstaatliche Politik anderen Grundsätzen zu unterstellen. So ist Gewaltanwendung nur als Reaktion auf einen bewaffneten Angriff erlaubt, bis der UN-Sicherheitsrat Maßnahmen zum
Schutz von Frieden und Sicherheit ergreift. Vor allem sind Vergeltungsschläge verboten. Da die Vereinigten Staaten gemäß Artikel 51 der UN-Charta keinem bewaffneten Angriff ausgesetzt sind, sollte die Reaktion entsprechend aussehen —
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