The Attack
zumindest, wenn wir befürworten, daß die Prinzipien der internationalen Rechtsprechung auch für uns gelten und nicht nur für unsere Gegner.
Außerdem wissen wir aus jahrhundertelanger Erfah-
rung, daß die von vielen Kommentatoren ins Feld geführte Doktrin der Vergeltung in einer Welt mit Massenver-nichtungswaffen schnell zur finalen Katastrophe führen kann, weshalb die Europäer vor fünfzig Jahren sich dazu entschlossen, der Strategie wechselseitiger Vernichtung abzuschwören.
48 Noam Chomsky
Terrorakte und »Freudenausbrüche«
Tatsächlich haben weltweit nur sehr wenige Menschen die Anschläge auf New York und Washington gefeiert; selbst in Regionen, die lange unter dem Stiefel der USA standen, wurden diese Verbrechen zutiefst bedauert. Ich möchte dennoch auf zwei ganz groteske Beispiele für Freuden-taumel angesichts terroristischer Gewalttaten verweisen.
1965 putschte sich, von den USA unterstützt, in Indonesien die Armee an die Macht. Danach kam es zur Ermordung von hunderttausenden Indonesiern, die meisten davon Bauern ohne Landbesitz. Die CIA verglich die Greueltaten mit den Verbrechen von Hitler, Stalin und Mao. Im Westen gab es dazu eine umfangreiche Berichterstattung, die in den US-Medien und anderenorts un-bändige Euphorie auslöste.
Als Nicaragua unter den US-Angriffen zusammen-
brach, lobten die großen Zeitungen und Zeitschriften den Erfolg der eingesetzten Methoden, nämlich die »Zerstö-
rung der Wirtschaft und die Betreibung eines langen und tödlichen Stellvertreterkriegs, bis die erschöpfte Bevölkerung die unerwünschte Regierung von selbst stürzt«, wobei für uns nur »minimale« Kosten entstehen, während den Opfern »zerstörte Brücken, beschädigte Kraftwerke und ruinierte Bauernhöfe« bleiben. Dadurch kann der von den USA favorisierte Präsidentschaftskandidat »auf Siegerkurs« gehen und »die Verarmung der nicaraguanischen Bevölkerung« beenden, schrieb Time damals.
Über diesen Ausgang sind wir, wie es in der New York Times hieß, »in Freude vereint«.
Im übrigen ist der jetzt von Bush verkündete »Krieg gegen den Terrorismus« nichts Neues und schon gar nicht das, was zu sein er beansprucht. Wir sollten uns daran er-Usama Bin Ladin und die USA 49
Innern, daß die Regierung Reagan vor zwanzig Jahren ihr Amt mit der Verkündigung antrat, der »internationale Terrorismus« (der damals noch weltweit von der Sowjetunion gefördert wurde) sei die größte Bedrohung für die USA, ihre Verbündeten und Freunde. Folglich mußten wir uns in einen Krieg stürzen, um diesen »Krebs«, diese
»Pest«, die die Zivilisation zerstörte, auszurotten. Folglich organisierten die Reaganisten weltweite Feldzüge, deren Terrorismus außerordentliche Zerstörungen hervorrief und sogar zu einer Verurteilung durch den Internationalen Gerichtshof führte. Außerdem unterstützten die USA zahlreiche ausländische Terrorregierungen wie etwa in Südafrika, wo allein während der Amtszeit der Regierung Reagan eineinhalb Millionen Menschen getötet und
Sachschäden in Höhe von sechzig Milliarden Dollar verursacht wurden. Die Hysterie über den »internationalen Terrorismus« erreichte ihren Höhepunkt in den achtziger Jahren, während die Vereinigten Staaten und ihre
Verbündeten den Krebs, den auszurotten sie forderten, eifrig selbst verbreiteten.
Wir können in einer Welt bequemer Illusionen leben oder aber, wenn wir es wollen, die jüngstvergangene Geschichte mitsamt den unverändert gebliebenen institutio-neilen Strukturen und den Plänen, die verkündet wurden, betrachten - und die Fragen entsprechend beantworten.
Ich sehe keinen Grund für die Annahme, daß die langfristigen Motivationen oder politischen Ziele sich, abgesehen von taktischen Anpassungen an gewandelte geändert haben sollten.
Zudem sollten wir uns daran erinnern, daß die Intellektuellen eine ihrer hervorragenden Aufgaben darin sehen, alle paar Jahre einen »Kurswechsel« zu proklamieren und einen wie immer gearteten Schlußstrich unter die Vergan-50 Noam Chomsky
genheit zu ziehen, während wir in eine ruhmreiche Zukunft marschieren.
Zu all diesen Problemen gibt es eine umfangreiche Literatur. Man muß lediglich die Tatsachen bedenken, die natürlich den Opfern wohlbekannt sind, wenngleich nur wenige von ihnen das Ausmaß oder das Wesen der terroristischen Angriffe, denen sie ausgesetzt sind, zu erkennen vermögen.
Man kann nur hoffen, daß die Attentate vom 11. September nicht zu Terrorangriffen auf
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