The Attack
Streitkräfte. Das ist zwar schwer vorstellbar, sagt uns aber etwas über die Wahrnehmungs-muster in hohen Nato-Kreisen. Den umfangreichen Do-kumentationen zufolge, die vom US-Außenministerium, der Nato und der OSZE vorgelegt wurden, änderte sich an der Lage bis zum Abzug der OSZE-Überwacher und den Bombardements von Ende März 1999 substantiell nichts. Aber die Politik änderte sich: Die USA und Groß-
britannien entschlossen sich zu einem Angriff auf Serbien, und damit wurden die »Terroristen« der KLA-UCK zu
»Friedenskämpfern«. Als sie nach dem Krieg in Maze-donien, einem US-Verbündeten, aus (wie sie meinten) ähnlichen Gründen ähnlich handelten, waren sie wieder
»Terroristen«, »Verbrecher« und »Mörder«.
Alle verurteilen den Terrorismus, aber man muß wissen, was darunter jeweils verstanden wird. Ich habe zu diesem Thema in den letzten Jahrzehnten viel geschrie-ben, dabei den Begriff aber immer im wörtlichen Sinn gebraucht. Insofern verurteile ich alle terroristischen Aktionen, nicht nur die, welche aus propagandistischen Gründen so genannt werden.
66 Noam Chomsky
Anmerkung
l Anm. d. Üb.: Michael Walzer ist Professor für Sozialwissenschaften in Princeton und gilt in der Politischen Philosophie als Vertreter des Kommunitarismus. Viele seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt, wie etwa Exodus und Revolution, Sphären der Gerechtigkeit, Kritik und Gemeinsinn.
VI. Der Angriff und seine Folgen
Die Lage in Afghanistan
Fünf Tage nach den Anschlägen auf New York und Washington berichtete John Burns, Korrespondent der New York Times, aus Islamabad: »Washington hat [von Pakistan] die Einstellung der Versorgung mit Brenn-stoffen... und den Stopp von Lastwagenkonvois, die Afghanistans Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln und anderen Gütern versorgen, gefordert.«1 Bemerkenswerterweise rief der Bericht im Westen keinerlei Reaktionen hervor; ein weiterer Hinweis auf den Charakter der westlichen Zivilisation, die deren Politiker und intellektuellen Eliten beanspruchen aufrechtzuerhalten.
Pakistans Regierung kam den Forderungen Washingtons nach. Am 27. September berichtete Burns, Regierungsbeamte in Pakistan hätten gesagt, »sie würden ihre Entscheidung, die etwa 2000 km lange Grenze zu
Afghanistan abzuriegeln, in die Tat umsetzen. Die Regierung Bush habe diese Vorgehensweise gefordert, um sicherzugehen, daß sich unter den Flüchtlingsmassen keine Leute aus Bin Ladins Organisation versteckt hielten.« Drei Tage später schreibt ein anderer Korrespondent: »Die Drohung eines Militärschlags beschleunigte den Abzug von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen, wodurch die Weiterführung entsprechender Programme und Aktionen stark gefährdet ist.« Flucht-68 Noam Chomsky
linge, die Pakistan »nach vielen Strapazen erreichen, beschreiben Szenen der Verzweiflung und Furcht, weil die Drohung eines Militärschlags unter amerikanischer Führung ihr langwährendes Elend in eine Katastrophe münden lassen könnte«.2 »Das Leben im Land hing an einem seidenen Faden«, berichtet ein evakuierter Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, »den wir gerade durchgeschnitten haben.«3
Der führenden Zeitschrift der Welt zufolge handelte Washington sofort, wobei Tod und Leiden ungezählter Afghanen in Kauf genommen wurden, von denen Millionen ohnehin schon dem Hungertod nahe waren. Darauf
nämlich laufen die eben zitierten Worte hinaus.
Nach Washingtons Drohung, Afghanistan zu bom-
bardieren und die Nordallianz in eine schwerbewaffnete Streitmacht zu verwandeln, haben sich große
Menschenmengen auf den Weg zu den Grenzen ge-
macht. Natürlich fürchten sie, daß diese Streitkräfte, wenn sie erst einmal losschlagen können, jene Greueltaten wiederholen, die das Land damals zerrissen und einen Großteil der Bevölkerung dazu brachten, die Taliban als Befreiung zu erfahren, weil diese Kriegsparteien, die Washington und Moskau jetzt für ihre eigenen Zwecke dienstbar machen wollen, von den radikal-islamistischen Milizen vertrieben wurden.
Die Führer der Nordallianz haben sich nicht mit Ruhm bedeckt, im Gegenteil. Joost Hiltermann, leitender Manager der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, hält ihre Herrschaft über Afghanistan, die von 1992 bis 1995
währte, für »die schlimmste Epoche in der afghanischen Geschichte«. Damals wurden Zehntausende Zivilisten getötet; es gab Massenvergewaltigungen und andere Verbrechen. 1997 ermordeten, Human Rights Watch zufol-Der A ngriffund seine
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