The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Nach einer leichten Kurskorrektur stellte ich mich wieder der Dunkelheit. Ohren und Nase brannten von der Kälte, und mein sechster Sinn jagte mir leise Schauer über die Haut. Meine Zehen waren fast völlig abgestorben. Ich blieb stehen und umfasste meine Knie, während ich tief durchatmete, um meine Nerven zu beruhigen. Sobald die Luft in meine Nase strömte, merkte ich es. Diesen Geruch kannte ich: Tod.
Der Strahl der Taschenlampe begann zu schwanken. Der Gestank von verwesendem Fleisch wurde immer stärker, doch ich musste noch eine weitere Minute gehen, bevor ich seine Quelle fand. Noch eine Leiche.
Es musste einmal ein Fuchs gewesen sein. Buschiges, rötliches Fell, das mit getrocknetem Blut verklebt war, Augenlöcher randvoll mit Maden. Ich presste meinen Ärmel vor Mund und Nase. Abartig, dieser Gestank.
Was auch immer dafür verantwortlich war, befand sich hier mit mir in diesem Wald.
Beweg dich, Paige. Los! Die Taschenlampe flackerte kurz. Ich wollte gerade loslaufen, als irgendwo ein Zweig knackte.
War das Einbildung gewesen? Nein, natürlich nicht. Mein Gehör war vollkommen in Ordnung. Ich hörte ja auch, wie das Blut in meinen Ohren rauschte. Ich drückte mich mit dem Rücken an einen Baum und versuchte, möglichst leise zu atmen.
Eine Wache. Sicher eine Rotjacke auf Patrouille. Doch dann hörte ich die Schritte, viel zu schwer für einen Menschen. Ich schaltete die Taschenlampe aus und ließ sie in meine Tasche gleiten. Sinnlos, sie in der Hand zu behalten: Sobald ich sie anmachte, würde ich damit meine Position verraten.
Die Stille schien mir die Ohren zu verstopfen. Ich sah rein gar nichts, aber ich hörte einen weiteren Schritt, diesmal näher. Dann das Geräusch von Zähnen, die sich in Fleisch gruben. Irgendetwas hatte den toten Fuchs entdeckt.
Oder war zu ihm zurückgekehrt.
Ich schirmte mit einer Hand das Feuerzeug ab, zündete es an und schirmte die Flamme ab, bis sie kaum zu sehen war. Mein Herz war völlig durchgedreht, entweder schlug es jetzt so schnell, dass aus dem Klopfen ein stetiges Summen geworden war, oder es hatte ganz ausgesetzt. Der Geist hinter mir zitterte.
Zäh wie Gummi vergingen die Minuten. Ich wartete. Mir war klar, dass ich mich irgendwann bewegen musste, aber ich wusste auch mit absoluter Sicherheit, dass dort draußen etwas war.
Drei klickende Laute, irgendwie kehlig.
Sämtliche Muskeln in meinem Körper spannten sich an. Ich atmete flach durch die Nase und presste die Lippen zusammen. Keine Ahnung, was für Geräusche das waren, aber sie konnten unmöglich von einem Menschen stammen. Von den Rephs hatte ich schon einige merkwürdige Laute gehört, aber nie etwas so Widerliches, Primitives.
Ein Windstoß blies die Flamme aus. Der Geist ergriff die Flucht.
Im ersten Moment lähmte mich nackte Angst. Dann erinnerte ich mich an die Betäubungspistole und wühlte in dem Beutel mit dem Schlafsack herum. Es wäre dämlich, meinen Verfolger ernsthaft erschießen zu wollen, aber damit konnte ich ihn ablenken. Was mir Zeit verschaffen würde, um abzuhauen. Kurz überlegte ich, auf einen Baum zu klettern, verwarf die Idee dann aber wieder. Mit Bäumen hatte ich kein Glück. Da suchte ich mir besser ein neues Versteck. Mir einen gewissen Vorteil an Höhe zu verschaffen, war aber trotzdem kein schlechter Gedanke. Wenn ich mich irgendwo in Sicherheit brachte, konnte ich die Taschenlampe einsetzen und herausfinden, was für ein Wesen das war. Ich steckte das Feuerzeug ein und widmete mich ganz dem Beutel.
Sobald ich die Pistole gefunden hatte, versuchte ich, einen der Pfeile aus der Verpackung zu holen. Jede meiner Bewegungen schien furchtbar laut zu sein, jeder Atemzug, jedes Rascheln meiner Jacke. Endlich spürte ich den kalten Metallzylinder des Pfeils in meinen Fingern. Wie man eine normale Pistole lud, wusste ich, aber es dauerte Minuten, bis ich – so lautlos wie möglich – mit meinen verschwitzten Fingern und in absoluter Finsternis diese Waffe bereit gemacht hatte. Sobald ich fertig war, hob ich beide Arme, zielte und drückte ab.
Als der Pfeil etwas traf, zischte es wie heißes Fett in einer Pfanne. Das Wesen lief auf das Geräusch zu. Dabei stieß es selbst einen Laut aus. Es summte. Fliegen.
Das war kein Tier.
Mir wurde übel. Ich hatte so viel über die Emim gehört, doch mir war nie in den Sinn gekommen, dass ich einmal einem von ihnen gegenüberstehen würde. Selbst nach allem, was ich bei der Einführung gehört, selbst nachdem diese Rotjacke eine
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