The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
lag im Bett des Wächters. Warum lag ich in seinem Bett?
Nur schleppend formten sich die Gedanken in meinem Hirn. Und ich konnte mich nicht richtig daran erinnern, was geschehen war. Genauso hatte ich mich gefühlt, als Jaxon mich einmal richtigen Wein hatte trinken lassen. Sorgfältig untersuchte ich das Gestell an meinem Unterarm. Es verhinderte jede Bewegung des Gelenks. Eigentlich wollte ich aufstehen – raus aus diesem Bett – , aber es war so warm, und ich konnte mich kaum bewegen. Beruhigungsmittel , dachte ich. Was in Ordnung war. Alles war in Ordnung.
Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, bekam ich schon mehr mit. Ich hörte eine vertraute Stimme. Der Wächter war zurückgekehrt, und er war nicht allein. Ich wälzte mich zum Bettvorhang hinüber und schob ihn einen Spalt weit auseinander.
Im Kamin brannte ein Feuer. Der Wächter stand mit dem Rücken zu mir und sagte gerade etwas in einer fremden Sprache. Die Worte flossen glatt über seine Zunge, sie klangen volltönend wie Musik in einem Konzertsaal. Vor ihm stand Terebell Sheratan. In der einen Hand hielt sie einen Kelch. Immer wieder zeigte sie Richtung Bett – auf mich. Der Wächter schüttelte den Kopf. Was für eine Sprache war das bloß?
Ich konzentrierte mich auf die Geister in meiner Nähe, alles ehemalige Bewohner von Magdalen. Das Gespräch zwischen dem Wächter und Terebell schien für sie wie Musik zu sein, sie tanzten geradezu im Rhythmus der Worte. Genau das Gleiche geschah, wenn Nadine Klavier spielte oder wenn ein Gaukler auf der Straße eine Ballade anstimmte. Gaukler – beziehungsweise Polyglotte, wie die korrekte Bezeichnung lautete – beherrschten eine Sprache, die sonst nur den Geistern bekannt war, aber der Wächter und Terebell waren keine Gaukler. Keiner von ihnen hatte die Aura eines Polyglotten.
Nun steckten sie die Köpfe zusammen und untersuchten etwas. Als ich genauer hinsah, wurde mir kalt vor Schreck.
Mein Telefon.
Terebell drehte es in der Hand und strich mit dem Daumen über die Tasten. Der Akku war schon lange leer.
Wenn sie mein Telefon und meinen Rucksack hatten, mussten sie auch das Flugblatt gefunden haben. Wollten sie herausfinden, welche Nummern ich gespeichert hatte? Immerhin mussten sie zumindest vermuten, dass ich den Autor des Flugblattes kannte. Wenn sie Jaxons Nummer fanden, konnten sie seine Spur bis nach Seven Dials zurückverfolgen – und dann würde Carls Vision plötzlich Sinn ergeben.
Ich musste dieses Telefon haben.
Terebell schob es unter ihr Oberteil, und der Wächter sagte etwas zu ihr. Dann drückte sie kurz ihre Stirn an seine, bevor sie ging und die schwere Tür hinter sich zuzog. Der Wächter blieb einen Augenblick reglos stehen und sah zum Fenster hinüber, bevor er seine Aufmerksamkeit dem Bett zuwandte. Und mir.
Er zog die Vorhänge zurück und setzte sich auf die Bettkante. »Wie geht es dir?«, fragte er.
»Leck mich.«
In seinem Blick flackerte Hitze auf. »Also besser.«
»Warum hat Terebell mein Telefon?«
»Damit Nashira es nicht findet. Ihre Rotjacken könnten daraus die Kontaktdaten deiner Freunde vom Syndikat gewinnen.«
»Ich habe keine Freunde im Syndikat.«
»Versuch gar nicht erst, mich anzulügen, Paige.«
»Ich lüge nicht.«
»Und wieder eine Lüge.«
»Als ob du immer nur die Wahrheit sagen würdest.« Ich starrte ihn finster an. »Du hast mich diesem Ding überlassen. Hast mich allein in der Dunkelheit zurückgelassen, mit einem Summer.«
»Du wusstest, dass es kommen würde. Du wusstest, dass du dich einem Emit würdest stellen müssen. So oder so habe ich dich gewarnt.«
»Wie hast du mich denn verdammt noch mal gewarnt?«
»Kältepunkte, Paige. So bewegen sie sich von einem Ort zum anderen.«
»Dann hast du also einen rausgelassen?«
»Du warst nie in Gefahr. Ich wusste, dass du Angst haben würdest, aber du musstest dieses Reh unter deine Kontrolle bringen.«
Durchdringend sah er mich an. Mein Mund wurde plötzlich trocken.
»Du hast das alles nur getan, damit ich es schaffe, Nuala in Besitz zu nehmen.« Ich feuchtete meine Lippen an. »Das war alles geplant, angefangen damit, dass du den Kältepunkt geöffnet hast.« Er nickte. »Du hast den Summer freigelassen.« Wieder nickte er. »Und du hast mir eine solche Angst gemacht, dass ich … «
»Ja.« Er schämte sich nicht einmal. »Ich hatte den Verdacht, dass deine Gabe durch starke Gefühlsregungen aktiviert wird: Wut, Abscheu, Trauer … und Angst. Die Angst ist dein wahrer
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