The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Abteilung des Gesundheitsministeriums es genauer erforscht. Bisher wollen sie noch keine offizielle Haltung festlegen. Und ich glaube auch nicht, dass sie das je tun werden.«
Ich wollte sie nach ihrer Familie fragen, doch eine innere Stimme warnte mich, damit noch zu warten. »Jaxon ist unglaublich froh, dass ihr euch uns anschließen wollt.« Nick lächelte die beiden freundlich an. »Ich hoffe, es wird euch hier gefallen.«
»Ihr werdet euch schon dran gewöhnen«, ergänzte ich. »Als ich hierherkam, habe ich es gehasst, aber das wurde besser, als Jaxon mich angeworben hat. Das Syndikat wird sich um euch kümmern.«
Zeke sah mich überrascht an. »Bist du denn keine Engländerin?«
»Irin.«
»Ich dachte immer, bei den Aufständen wäre kaum jemand entkommen.«
»Ich schon.«
»Das war eine echte Tragödie. Die Iren hatten so wundervolle Musik«, schwärmte er. »Kennst du das Lied der Aufständischen?«
»Das über Molly?«
»Nein, das andere. Das haben sie am Ende des Aufstands gesungen, um die Toten zu betrauern.«
»Dann meinst du wohl ›An Ember Morning ‹ .«
»Ja, genau.« Er zögerte kurz, dann fragte er: »Würdest du es für mich singen?«
Nick und ich lachten gleichzeitig. Zeke lief feuerrot an. »Tut mir leid, das war doof«, gab er dann zu. »Ich würde einfach gerne mal hören, wie es klingt, wenn es richtig gesungen wird. Falls es dir nichts ausmacht. Früher habe ich Nadine immer gern zugehört, aber … na ja, sie spielt nicht mehr.«
Nick und ich tauschten einen Blick. Eine Flüsterin, die keine Musik machte. Das würde Jaxon gar nicht gefallen. »Paige«, sagte Nick sanft. Erst jetzt fiel mir auf, dass Zeke mich immer noch abwartend ansah.
Ich war mir nicht sicher, ob ich das Lied singen konnte. In Scion war jede irische Musik verboten, aber die Rebellenlieder ganz besonders. Als Kind hatte ich einen starken irischen Akzent gehabt, aber aus Angst vor der wachsenden Irenfeindlichkeit in Scion hatte ich ihn nach unserem Umzug schnell abgelegt. Selbst im Alter von acht hatte ich die merkwürdigen Blicke spüren können, mit denen man mich bedacht hatte, wenn ich etwas seltsam betont hatte. Stundenlang hatte ich vor dem Spiegel gestanden und Nachrichtensprecher imitiert, bis ich mir einen klaren, englischen Oberschichtakzent zugelegt hatte. Dadurch wurde ich zwar nicht beliebter – noch jahrelang nannten sie mich ›Molly Mahoney‹ – , aber irgendwann nahm mich eine kleine Mädchenclique auf, wahrscheinlich weil mein Vater so viel für den Schulball gespendet hatte.
Vielleicht war ich das dem Andenken meines Cousins schuldig. Ich blickte aus dem Wagenfenster und begann zu singen.
*
My love, it was an ember morning
When October was a-d awning.
Fire cried on the honey meadow.
Come, ghost of the vale,
I am standing in the ashes, where you roam.
Erin waits to bring you home.
My heart, I saw a flame upon the sky
When October’s bitter morn was nigh.
Smoke choked the honey meadow.
Hark, Spirit of the south,
I am waiting near the cloven tree,
Now Ireland’s heart is broken by the sea.
*
Es gab noch mehr Strophen, aber ich hielt abrupt inne. Mir fiel wieder ein, wie meine Großmutter es bei der geheimen Trauerfeier gesungen hatte, die wir im Tal für Finn abgehalten hatten. Nur wir sechs. Ohne eine Leiche, die wir hätten begraben können. Damals hatte mein Vater auch von seiner Abberufung erzählt, durch die er meine Großeltern allein der militärischen Invasion durch Scion aussetzen musste, die in Richtung Süden gerade erst begonnen hatte. Zeke wirkte sehr ernst. Nach einer Weile drückte Nick meine Hand.
Als wir die Monmouth Street erreichten, war es im Taxi unerträglich heiß geworden. Ich drückte dem Fahrer ein paar Scheine in die Hand. Einen davon gab er mir zurück.
»Für das schöne Lied«, erklärte er. »Gott segne dich, Kleine.«
»Danke.«
Doch ich ließ das Geld auf dem Sitz liegen. Für eine Erinnerung wollte ich mich nicht bezahlen lassen.
Ich half Nick dabei, das Gepäck der beiden auszuladen. Nadine stieg aus und nahm den Kopfhörer ab. Mit einem vernichtenden Blick musterte sie das Gebäude. Mir fiel inzwischen ihre Tasche auf, die von einem New Yorker Designer stammte. Die musste verschwinden. Amerikanische Sachen gingen auf dem Schwarzmarkt weg wie nichts. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie einen Instrumentenkoffer dabei haben würde, aber Fehlanzeige. Vielleicht war sie ja doch kein Flüsterer. Es gab noch mindestens drei andere
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