The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Lehrer als er. »Was würde passieren, wenn man versucht, seine Euphotische Zone zu verlassen? Rein theoretisch.«
»Na ja, wir glauben, dass in der zweiten Zone das angesiedelt ist, was die Amaurotiker als ›Albträume‹ kennen. Wenn man gestresst oder nervös ist, lässt das Band einen manchmal so weit vordringen. Jenseits davon setzt ein starker Sog ein, der einen zum Zentrum zurückzieht. Verlässt man die Zone des Zwielichts, wird man nach und nach wahnsinnig.«
Überrascht zog ich eine Augenbraue hoch. »Ich bin schon ein Freak, was?«
»Nein, Paige, nein. So darfst du nicht denken. Niemand von uns ist ein Freak. Du bist ein Wunder. Ein Springer.« Sie nahm mir das Zeichenbuch ab. »Sobald Jax fertig ist, soll er sich das mal ansehen. Er wird begeistert sein. Schläfst du nicht immer freitags bei deinem Dad?«
»Ich muss noch arbeiten. Didion denkt, er hat William Terriss aufgespürt.«
»Oh, verdammt. Du musst nicht mehr sagen.« Sie wandte sich mir zu. »Hey, du weißt, was sie über das Syndikat sagen? Bist du erst einmal drinnen, kommst du nie mehr raus. Bist du dir sicher, dass du noch immer glücklich damit bist?«
»Ich war nie glücklicher.«
Eliza lächelte mich an. Es war ein seltsames Lächeln, fast wehmütig. »Okay«, sagte sie. »Ich bin dann oben. Pieter braucht ein paar Streicheleinheiten.« Mit klimpernden Armreifen verließ sie das Zimmer. Ich fing an, die Ringe in meiner Zeichnung auszumalen, jeden dunkler als den vorherigen.
Ein paar Stunden später, als Jax aus dem zweiten Stock herunterkam, war ich immer noch damit beschäftigt. Die Sonne war kurz davor unterzugehen. Ich würde bald losziehen müssen, um Didion zu treffen, aber ich wollte meine Skizze noch in den Computer übertragen. Jax wirkte irgendwie fiebrig.
»Jax?«
»Unlesbar«, hauchte er. »Oh, meine süße, süße Paige. Unser verehrter Mr Sáenz ist ein Unlesbarer .«
Kapitel Einundzwanzig
D AS BRENNENDE S CHIFF
Ich werde nie das Gesicht des Wächters vergessen, als er mich in der roten Tunika sah. Zum ersten Mal entdeckte ich Angst in seinen Augen.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde flackerte er auf, doch ich sah ihn: diesen Hauch von Unsicherheit, fragiler als eine Kerzenflamme. Ich war gerade auf dem Weg in mein Zimmer.
»Paige.«
Ich blieb stehen.
»Wie war dein Willkommensessen?«
»Sehr erhellend.« Mit dem Finger zog ich den roten Anker auf meiner Weste nach. »Du hattest recht. Sie hat mir Fragen über dich gestellt.«
Ein kurzes, angespanntes Schweigen folgte, und sein Gesicht verhärtete sich. »Die du beantwortet hast.« So kalt hatte seine Stimme noch nie geklungen. »Was hast du ihr gesagt? Ich muss es wissen.«
Er würde nicht betteln. Der Wächter war stolz. Seine Kiefermuskeln traten deutlich hervor, seine Lippen waren zu einer harten Linie zusammengepresst. Ich fragte mich, was wohl gerade in seinem Kopf vorging: wen er warnen musste, wohin er fliehen könnte, was als Nächstes zu tun war.
Wie lange konnte ich ihn zappeln lassen?
»Sie hat etwas erwähnt, was mich stutzig gemacht hat.« Ich ließ mich auf dem Sofa nieder. »Nämlich, dass es dem Blutsgefährten nicht erlaubt ist, gegen die Emim zu kämpfen.«
»Das ist wahr. Es ist streng verboten.« Seine Finger trommelten auf die Armlehne des Sessels. »Du hast ihr von meinen Verletzungen erzählt.«
»Ich habe ihr gar nichts erzählt.«
Seine Miene veränderte sich. Nach einem Moment schüttete er sich aus einer Karaffe ein Glas Amarant ein. »Wenn das so ist, verdanke ich dir mein Leben«, sagte er.
»Du trinkst ganz schön viel Amarant. Hilft das gegen die Narben?«
Ruckartig hob er den Kopf. »Narben?«
»Ja, die Narben.«
»Ich habe meine Gründe, Amarant zu trinken.«
»Und welche?«
»Gesundheitliche. Ich sagte doch bereits, alte Wunden.« Er stellte das Glas auf dem Tisch ab. »Du hast dich also dazu entschlossen, Nashira nichts von meinem Ungehorsam zu sagen. Mich würde interessieren, warum.«
»Andere hinzuhängen ist einfach nicht mein Ding.« Mir war nicht entgangen, wie geschickt er der Frage ausgewichen war – Narben und alte Wunden waren nicht ganz dasselbe.
»Verstehe.« Der Wächter starrte in den leeren Kamin. »Du hast Nashira also Informationen vorenthalten, jedoch trotzdem die rote Tunika bekommen.«
»Auf deine Empfehlung hin.«
»In der Tat, doch ich wusste nicht, ob sie mir zustimmen würde. Vermutlich hegt sie dabei gewisse Hintergedanken.«
»Morgen werde ich auf eine Auswärtsmission
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