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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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einfach etwas gegen Feiglinge.
    Anschließend hatten wir das Mittelchen an Michael weitergeleitet, der es nur zu gern in den Wein mischte, der den Rotjacken bei ihrem Festessen vor der Zweihundertjahrfeier serviert wurde. Wenn alles gut ging, würde keiner von ihnen in der Lage sein, sich auch nur selbst zu verteidigen.
    Ich sah aus dem Fenster. Die Abgesandten waren um acht Uhr abends angekommen, schick herausgeputzt und begleitet von schwer bewaffneten Wachen. Diese Männer und Frauen von Scion waren hier, um eine neue Übereinkunft zu bezeugen, das Große Territorialabkommen. Es gestattete den Rephaim, eine Kontrollkolonie in Paris einzurichten, die erste außerhalb Englands: Sheol II .
    Damit wäre Scion nicht länger ein Imperium im Embryonalstadium. Es würde das Licht der Welt erblicken. Es würde leben.
    Das war nur der Anfang. Wenn die Rephaim erst einmal alle Seher in ihren Strafkolonien weggesperrt hatten, hätte der Rest der Menschheit keine Chance mehr, sich gegen sie zu erheben. Der Æther stellte unsere einzige Waffe dar. Wenn niemand ihn nutzen konnte, waren wir ein leichtes Ziel. Und zwar alle von uns.
    Aber darüber machte ich mir heute keine Gedanken. Mir ging es nur darum, nach Seven Dials zurückzukommen. In das korrupte Syndikat. Zu meiner Gang. Zu Nick. Das war alles, was ich in diesem Moment wollte.
    Das Grammophon spielte immer noch. Ich setzte mich an den Schreibtisch und beobachtete durch das Fenster den Mond. Er war erst halb voll. Und es waren keine Sterne zu sehen.
    Liss, Julian und ich hatten die vergangenen Wochen genutzt, um Unruhe in der Stadt zu säen, mit dem sicheren Keller des Wächters als Hauptquartier. Dort konnten Suhail und der Oberaufseher uns nicht belauschen. Liss hatte sich vollständig von ihrem Trauma erholt und sich mit ihrem neuen, verbissenen Überlebenswillen darangemacht, die Clowns aufzuwiegeln. Sie war immer noch ängstlich gewesen, aber eines Abends war es aus ihr hervorgebrochen: »Ich kann so nicht mehr leben«, hatte sie verkündet. »Und ich kann euch ja sowieso nicht von eurer Rebellion abbringen. Also tun wir’s!«
    Also taten wir es.
    Ein Großteil der Jackenträger und Akrobaten hatte sich bereit erklärt, uns zu helfen. Diejenigen, die Liss’ Heilung durch den Wächter miterlebt hatten, brachten das größte Vertrauen mit. Dass es zumindest eine gewisse Unterstützung durch Rephs geben würde, gab ihnen Sicherheit. Nach und nach hatten wir Vorräte angelegt und sie an festgelegten Punkten versteckt. Einige Clowns hatten Duckett beklaut, der noch immer unter der Asterngehirnwäsche litt, und ihn um Streichhölzer und Brennpaste erleichtert. Zwei mutige Weißjacken hatten sogar versucht, in das Haus einzudringen, doch seit man dort den toten Kraz gefunden hatte, waren die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. Niemand kam auch nur in die Nähe des Gebäudes. Stattdessen mussten wir plündern gehen. Wir hatten nicht viele Waffen, aber wir brauchten auch keine Pistolen, um zu töten.
    Nur Julian, Liss und ich wussten, wo sich die Bahnstation befand. Niemand sonst. Es war einfach zu riskant. Alle anderen wussten lediglich, dass es einen Weg nach draußen gab. Mithilfe eines Leuchtsignals würden wir ihnen den richtigen Ort zeigen.
    Entschlossen stand ich auf. Durch die geöffnete Badezimmertür konnte ich mein Spiegelbild sehen. Ich sah aus wie eine Porzellanpuppe, aber es hätte schlimmer sein können – ich hätte aussehen können wie Ivy. Bei unserer letzten Begegnung war sie zusammen mit einem anderen Menschen hinter Thuban hergetrottet. Sie war so verdreckt und abgemagert gewesen, dass ich sie kaum erkannt hatte. Aber sie hatte nicht geweint. War einfach nur marschiert. Ganz still. Nach dem, was in dem Haus passiert war, hatte es mich überrascht, dass sie überhaupt noch lebte.
    Der Wächter hatte nicht zugelassen, dass es mir ebenso erging. Je näher der September rückte, desto wortkarger wurde er. Wahrscheinlich war es die Angst – Angst davor, dass dieser Aufstand ebenfalls scheitern könnte, so wie der letzte. Manchmal trieb ihn auch mehr um als nur Furcht. Mir kam es fast so vor, als wäre er wütend. Wütend darüber, dass er mich verlieren könnte. Mich und den Kampf gegen Nashira.
    Kopfschüttelnd vertrieb ich diese Gedanken. Er wollte lediglich meine Gabe schützen, so wie alle anderen auch.
    Es hatte keinen Sinn, es hinauszuzögern. Ich musste mich dem Auftritt in der Gildehalle stellen. Noch einmal zog ich das Grammophon auf.

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