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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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europäischen Ländern war das System von Scion etabliert, eines davon war England. Doch im Gegensatz zu England verfügten die anderen Staaten nicht über einen Ort, an den sie ihre Seher verfrachten konnten. Trotzdem hatten alle neun Regierungen Abgesandte geschickt. Sogar aus Dublin, der jüngsten und umstrittensten Scion-Metropole, war jemand vertreten: Cathal Bell, ein alter Freund meines Vaters. Er war ein nervöser, unentschlossener Mann, der von den Pflichten seines Amtes erdrückt wurde. Als ich ihn entdeckte, durchzuckte mich ein freudiger Schreck – vielleicht konnte er uns ja helfen – , doch dann wurde mir bewusst, dass er mich das letzte Mal gesehen hatte, als ich fünf oder sechs gewesen war. Er würde mich nicht wiedererkennen, und hier hatte ich keinen Namen. Außerdem war Bell schwach. Seine Partei hatte Dublin verloren.
    Die Gildehalle sah wirklich spektakulär aus. Sie hatte eine mit Stuck verzierte Decke, zahllose Kronleuchter und riesige Ausmaße. Die Dunkelheit wurde durch Kerzenlicht und Chopin aufgehellt. Den Abgesandten wurde jede nur erdenkliche Annehmlichkeit zuteil. Sie durften sich mit dem köstlichsten Essen vollstopfen oder mit einem Glas Mecks in der Hand fröhlich plaudern. Ihre Amaurose war ein Privileg, ein Recht. Die amaurotischen Sklaven, denen man befohlen hatte, sich als willige Teilnehmer eines Rehabilitationsprogramms zu präsentieren – darunter auch Michael – , servierten ihnen das Essen. Die anderen Amaurotiker waren bestimmt zu unterernährt gewesen, um hier in Erscheinung zu treten.
    Hoch über den Tanzenden hing Liss an ihren Seidenbahnen und stellte wie eine schwebende Ballerina verschiedene Figuren nach. Dabei verhinderte einzig und allein ihre Körperkraft, dass sie in den sicheren Tod stürzte.
    Auf der Suche nach Weaver ließ ich den Blick durch den Raum wandern, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Vielleicht verspätete er sich. Andere Länder konnten es sich durchaus erlauben, nicht ihren Großinquisitor zu schicken, aber nicht England. Ich sah ein paar andere prominente Offizielle von Scion, darunter den Kommandanten der Wache, Bernard Hock – ein großer, kahlköpfiger Mann mit Stiernacken. Er war so gut darin, Seher aufzuspüren, dass ich schon lange den Verdacht hegte, er müsse ein Schnüffler sein. Selbst jetzt blähte er die Nüstern. In Gedanken machte ich mir eine Notiz, ihn wenn möglich umzubringen.
    Einer der Amaurotiker bot mir ein Glas weißen Mecks an, doch ich lehnte ab. Gerade hatte ich Cathal Bell erspäht.
    Er hielt ein Glas in der Hand und rückte immer wieder seine Krawatte zurecht. Offenbar versuchte er sich an einer Unterhaltung mit Radmilo Arežina, dem stellvertretenden Migrationsminister von Serbien. Das entlockte mir ein Lächeln. Arežina hatte Danis Auswanderung nach London genehmigt, törichterweise. Entschlossen ging ich zu den beiden hinüber.
    »Mr Bell?«
    Der zuckte so heftig zusammen, dass er seinen Wein verschüttete. »Ja?«
    Mit einem entschuldigenden Blick zu Arežina fuhr ich fort: »Bitte verzeihen Sie die Störung, Herr Minister, aber könnte ich wohl einen Moment mit Mr Bell sprechen?«
    Arežina musterte mich von oben bis unten. Dann verzog sich seine Oberlippe.
    »Entschuldigen Sie mich, Mr Bell. Ich sollte zu meiner Abordnung zurückkehren.«
    Damit rettete er sich in die Sicherheit seiner Delegation. Ich blieb direkt vor Bell stehen, der gerade versuchte, den roten Fleck von seinem Jackett zu tupfen. »Was willst du, Widernatürliche?« Er stotterte leicht. »Das war ein äußerst wichtiges Gespräch.«
    »Tja, nun bekommen Sie die Gelegenheit, ein ähnlich wichtiges zu führen.« Ich nahm ihm das Glas aus der Hand und nippte daran. »Erinnern Sie sich noch an den Übergriff, Mr Bell?«
    Abrupt hielt Bell inne. »Falls du den Übergriff von 2046 meinst, dann ja. Natürlich erinnere ich mich daran.« Seine Finger begannen zu zittern. Erst jetzt bemerkte ich, dass seine Knöchel stark gerötet und angeschwollen waren, wahrscheinlich hatte er Arthritis. »Warum fragst du? Wer bist du überhaupt?«
    »Mein Cousin wurde an diesem Tag verhaftet. Ich will wissen, ob er noch lebt.«
    »Du bist Irin?«
    »Ja.«
    Misstrauisch starrte er mich an. »Und wie heißt du?«
    »Mein Name tut nichts zur Sache. Es geht hier um meinen Cousin, Finn McCarthy. Er studierte am Trinity College. Kennen Sie ihn?«
    »Ja«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen. »McCarthy saß zusammen mit den anderen Rebellenführern der

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