The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

aus den Schachteln und spülte sie im Waschbecken runter. Heute würde ich noch mehr Informationen sammeln. Mir war egal, was Liss sagte – wir durften das nicht einfach so hinnehmen. Ob die Rephs nun seit zweihundert oder zwei Millionen Jahren hier waren: Meine Sehergabe würden sie nicht für sich missbrauchen. Ich war nicht ihr Soldat, und sie war nicht ihr Mittagssnack.
    Der Nachtportier vermerkte, dass ich die Residenz verlassen hatte, und ich ging in die Hüttensiedlung und kaufte mir eine Schale mit Porridge. Es schmeckte ungefähr so wie es aussah – wie Zement – , aber ich zwang mich, es zu essen. Eine Akrobatin raunte mir zu, dass Suhail auf einem seiner Streifzüge sei, ich konnte mich zum Essen also nicht hinsetzen. Stattdessen fragte ich sie, ob sie wüsste, wo ich Julian finden könnte, und beschrieb ihn so genau wie möglich. Sie riet mir, es bei den zentral gelegenen Residenzen zu versuchen, nannte mir ihre Namen und beschrieb mir den Weg dorthin, bevor sie an ihren Petroleumofen zurückkehrte.
    Ich stellte mich in eine dunkle Ecke. Während ich aß, beobachtete ich die Leute um mich herum. Sie hatten alle denselben leeren Blick. Ihre bunte Kleidung wirkte so fast obszön, wie Graffiti auf einem Grabstein.
    »Macht einen ganz krank, nicht wahr?«
    Ich blickte hoch. Es war die Flüsterin, die in der gleichen Nacht verhaftet worden war wie ich. Ihr Arm war mit einem schmutzigen Verband umwickelt. Sie stellte sich neben mich.
    »Tilda.«
    »Paige.«
    »Ich weiß. Habe gehört, du bist in Magdalen gelandet.« Sie hatte eine Selbstgedrehte in der Hand, aus der dicker Rauch aufstieg, der nach Gewürzen duftete. Ich erkannte das Aroma von blauer Aster. »Hier.«
    »Nein, danke.«
    »Komm schon, sind doch nur ein paar Kräuter. Besser als Tincto.«
    Tincto – wie Laudanum auf der Straße genannt wurde – gehörte zu den liebsten Lastern jener Amaurotiker, die das Risiko nicht scheuten, an ihrem Bewusstseinszustand herumzupfuschen. Nicht alle von ihnen standen auf Floxy. Hin und wieder wurde ein Amaurotiker wegen des Verdachtes auf Widernatürlichkeit verhaftet, und jedes Mal fand die NVD anschließend heraus, dass er sich mit Tincto vergiftet hatte. Bei Sehern bewirkte es nicht viel, es war nicht stark genug, um unsere Traumlandschaften anzugreifen. Tilda dröhnte sich offenbar aus Gewohnheit zu.
    »Wo hast du das her?«, wollte ich wissen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Rephs Drogenkonsum erlaubten.
    »Es gibt hier einen Salbenmischer, der das Zeug im Halbkilo verkauft. Er behauptet, er wäre seit der XVI . Knochenernte hier.«
    »Seit vierzig Jahren?«
    »Er war damals einundzwanzig. Vorhin habe ich mich mit ihm unterhalten, er schien echt in Ordnung zu sein.« Wieder bot sie mir den Glimmstängel an. »Und du willst sicher nicht ziehen?«
    »Lass mal.« Ich beobachtete, wie sie einen Zug nahm. Tilda machte das so routiniert wie ein Asternjunkie beziehungsweise Höfling, wie sie sich selbst bezeichneten. Sie waren auch die Einzigen, die Halbkilo statt Pfund sagten. Vielleicht konnte sie mir ja weiterhelfen. »Warum bist du nicht bei deinem Training?«
    »Mein Hüter ist irgendwohin verschwunden. Und warum bist du nicht beim Training?«
    »Genau dasselbe. Wer ist dein Hüter?«
    »Terebell Sheratan. Sie scheint ziemlich zickig zu sein, aber mich hat sie bisher noch nicht zusammengeschissen.«
    »Aha.« Wieder sah ich zu, wie sie inhalierte. »Hast du eine Ahnung, was in den Pillen ist, die sie uns geben?«
    Tilda nickte. »Die kleine weiße ist ein normales Verhütungsmittel. Überrascht mich echt, dass du das nicht kennst.«
    »Ein Verhütungsmittel? Wozu das denn?«
    »Ist doch klar: Damit wir uns nicht vermehren. Oder unsere Tage kriegen. Ich meine, würdest du hier einen Hosenscheißer rauspressen wollen?«
    Da hatte sie nicht unrecht. »Und die rote?«
    »Eisentabletten.«
    »Die grüne?«
    »Was?«
    »Na, die dritte Pille.«
    »Es gibt keine dritte Pille.«
    »Das ist so eine Kapsel«, präzisierte ich. »Olivgrün, schmeckt bitter.«
    Tilda schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, sorry. Wenn du mir eine mitbringst, kann ich sie mir ja mal ansehen.«
    Mir wurde flau im Magen. »Werde ich machen.« Gerade wollte sie wieder an ihrer Selbstgedrehten ziehen, als ich sie unterbrach: »Du bist mit Carl mitgegangen, richtig? Bei der Einführung, meine ich.«
    »Mit diesem Verräter habe ich nichts zu tun.« Erstaunt zog ich eine Augenbraue hoch. Tilda stieß den violetten Rauch aus. »Hast