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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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interessiert mich das.«
    »In den ersten Tagen machen die Weißjacken Grundlagentraining, vor allem im Kampf mit Geistern. Man muss zeigen, dass man sie an sich binden kann und so etwas. Dann kommt die erste Prüfung. Da muss man seine Gabe nachweisen.«
    »Inwiefern?«
    »Man muss beweisen, dass sie von Nutzen ist. Wahrsager müssen etwas voraussagen, Medien müssen eine Besessenheit herbeiführen. Du verstehst schon, oder?
    »Und was gilt bei ihnen als nützlich?«
    »Man muss irgendwie seine Loyalität unter Beweis stellen. Ich habe mit dem Portier in Trinity darüber gesprochen. Er wollte zwar nicht viel verraten, aber er meinte, dass durch seine Vorhersage jemand anders nach Sheol I gebracht worden sei. Man muss ihnen zeigen, was sie sehen wollen, auch wenn dadurch ein anderer in Gefahr gerät.«
    In meiner Kehle bildete sich ein Klumpen. »Und die zweite Prüfung?«
    »Die hat irgendetwas mit den Emim zu tun. Wahrscheinlich wird man zur Rotjacke, wenn man überlebt.«
    Suchend ließ ich den Blick zwischen den Hütten umherwandern. Zwischen den Akrobaten waren ein oder zwei gelbe Tuniken zu sehen. »Schau mal.« Julian senkte die Stimme. »Die da in der Ecke. Ihre Finger.«
    Ich folgte seinem Blick. Die junge Frau löffelte ihre Suppe und sprach gerade mit einem kränklich wirkenden Mann. Drei ihrer Finger fehlten. Als ich mich im Raum umsah, bemerkte ich noch mehr Verletzungen: eine fehlende Hand, Bissspuren, Narben an Armen und Beinen, die offenbar von Krallen stammten.
    »Anscheinend schmeckt ihnen Menschenfleisch«, stellte ich fest. Liss hatte nicht gelogen.
    »Sieht so aus.« Julian streckte mir seine Schale entgegen. »Willst du aufessen?«
    »Nein, danke.«
    Schweigend blieben wir sitzen. Ich sah nicht mehr hin, konnte aber auch nicht aufhören, über die Verstümmelungen dieser Menschen nachzudenken. Sie waren abgenagt worden wie Hühnerknochen und dann auf dem Müll gelandet. In diesem elenden, schutzlosen Slum schwebten sie ständig in Gefahr.
    Ich wollte nicht, dass die Rephaim herausfanden, was ich war. Doch um die erste Prüfung zu bestehen, würde ich es ihnen zeigen müssen.
    Wollte ich diese Prüfungen denn bestehen? Nachdenklich fuhr ich mir durch die Haare. Ich würde abwarten müssen, was der Wächter von mir erwartete, wenn er zurückkam. Vorerst lag mein Schicksal in seinen Händen.
    Als ich bemerkte, dass sich Stille in der Menge ausbreitete, sah ich wieder auf und entdeckte ein vertrautes Gesicht: Carl. Die Akrobaten schwiegen, machten ihm Platz und senkten die Blicke. Ich spähte über ihre Köpfe hinweg und begriff, was sie anstarrten: seine rosafarbene Tunika. Was wollte er hier in der Hüttensiedlung?
    »Tilda hat mir erzählt, dass er seine erste Prüfung bestanden hat«, berichtete ich Julian. »Was er wohl machen musste? Oder hat es gereicht, Ivy hinzuhängen?«
    »Er ist ein Wahrsager. Wahrscheinlich musste er nur in einer Tasse seine tote Tante entdecken«, meinte er.
    »Dann wäre er Teeblattleser. Und bist du nicht selbst ein Wahrsager?«
    »Das habe ich nie behauptet.« Er grinste schief. »Du bist nicht die Einzige mit einer verwirrenden Aura.«
    Das ließ mich innehalten. Wahrsager galten als unterste Klasse der Seher; zumindest waren sie am weitesten verbreitet. Vielleicht fand er diese Bezeichnung ja beleidigend. Oder ich war doch nicht so gut darin, Seher zu identifizieren, wie Jax immer behauptet hatte.
    Jax … Was er wohl gerade machte? Sorgte er sich um mich oder nicht? Natürlich sorgte er sich um mich – ich war seine Traumwandlerin, seine Ganovenbraut und sein Mündel. Aber wie er mich aufspüren sollte, wusste ich nicht. Vielleicht konnten Dani oder Nick etwas herausfinden. Sie hatten einen Werdegang bei Scion vorzuweisen. Es musste doch Aufzeichnungen über die Gefangenen geben, versteckt vom Archonitat.
    »Sie versuchen, ihn zu bestechen.« Julian beobachtete zwei Akrobaten. Sie streckten Carl einige Numa entgegen und redeten auf ihn ein. »Die müssen doch glauben, dass er sich auf die Seite der Rephs geschlagen hat.«
    Sah ganz so aus. Carl scheuchte die Leute weg, und sofort zogen sie sich zurück.
    »Julian, wie viele Pillen kriegst du täglich?«
    »Eine.«
    »Und wie sieht die aus?«
    »Rund und rot. Ich glaube, das ist Eisen.« Er nahm einen Schluck Suppe. »Warum, wie viele kriegst du denn?«
    Logisch. Scion produzierte zwar eine Verhütungsspritze für Männer, aber es hatte ja wenig Sinn, beide Geschlechter lahmzulegen. Carl rettete mich vor einer

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