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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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über die Schulter verriet mir, dass gerade niemand in meine Richtung sah. Ich zog mich an der Hauswand hoch, griff in meine Tunika und schob Seb das Päckchen mit dem Essen hin. »Ich lasse es dir noch mal durchgehen.« Kurz drückte ich die eiskalte Hand zwischen den Stäben. »Und ich werde alles versuchen, um dich hier rauszuholen, aber dazu brauche ich etwas Zeit.«
    »Sie werden mich umbringen.« Mit zitternden Fingern wickelte er das Päckchen aus. »Ich werde tot sein, bevor du mich holen kommst.«
    »Was machen sie denn?«
    »Ich musste Böden schrubben, bis meine Finger geblutet haben, dann musste ich Glasscherben sortieren und nach sauberen Stücken suchen, die sie für ihre Schmucksachen brauchen.« Jetzt fiel es mir auf, überall an seinen Händen waren tiefe, schmutzige Schnittwunden zu sehen. »Ab morgen soll ich in den Residenzen arbeiten.«
    »Und was für eine Arbeit ist das?«
    »Weiß ich noch nicht. Will ich auch nicht wissen. Glauben die denn, ich sei ein … einer von euch?« Nun klang seine Stimme rau. »Was wollen die von mir?«
    »Keine Ahnung.« Sein rechtes Auge war blutunterlaufen und stark angeschwollen. »Was ist damit passiert?«
    »Einer von denen hat mich geschlagen, dabei hatte ich gar nichts gemacht, Paige, ehrlich. Er meinte, ich sei menschlicher Abschaum. Er hat gesagt … «
    Ruckartig ließ er den Kopf hängen, und seine Lippen begannen zu zittern. Das war sein erster Tag gewesen, und schon hatten sie ihn als Sandsack benutzt. Wie sollte er da eine Woche überleben oder gar einen Monat? Ein ganzes Jahrzehnt, wie Liss?
    »Iss.« Sanft drückte ich seine Hand auf das Fresspaket. »Und versuch, morgen nach Magdalen zu kommen.«
    »Wohnst du dort?«
    »Ja. Mein Hüter wird wahrscheinlich nicht da sein. Du kannst ein Bad nehmen und vielleicht auch etwas essen. Okay?«
    Seb nickte. Er schien benommen zu sein, wahrscheinlich hatte er eine Gehirnerschütterung. Er musste in ein Krankenhaus oder zumindest zu einem Arzt. Aber hier gab es keine Ärzte. Niemand kümmerte sich um Seb.
    Mehr konnte ich in dieser Nacht nicht für ihn tun. Nachdem ich noch einmal sanft seinen Arm gedrückt hatte, ließ ich das Fensterbrett los, landete sicher auf den Füßen und machte mich auf den Rückweg Richtung Stadtzentrum.

Kapitel Sechs
    G EMEINSCHAFT
    Kurz vor Sonnenaufgang erreichte ich die Residenz. Der rot gekleidete Portier gab mir einen Ersatzschlüssel zu den Räumlichkeiten des Wächters. »Leg ihn auf den Schreibtisch«, mahnte er. »Denk nicht mal dran, ihn zu behalten.«
    Ich sparte mir eine Antwort. Stattdessen lief ich die dunkle Treppe hinauf und wich automatisch den beiden Wachen aus. Ihre leuchtenden Augen jagten mir in den finsteren Gängen einen Schauer über den Rücken, sie waren fast wie natürliche Suchscheinwerfer. Und das hier galt als sichere Residenz. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, wie es in den anderen zuging.
    Die Turmglocken ertönten und riefen die Menschen zurück in ihre Zellen. Sobald ich in unserem Zimmer war, schloss ich die Tür hinter mir ab und deponierte den Schlüssel auf dem Tisch. Vom Wächter war keine Spur zu sehen. Mit den Streichhölzern, die ich in einer Schublade entdeckte, machte ich ein paar Kerzen an. Neben den Zündhölzern lagen drei Paar identischer schwarzer Lederhandschuhe sowie ein breiter Silberring, in dem ein roter Juwel eingelassen war.
    An der Wand stand eine Vitrine aus dunklem Rosenholz. Sobald ich die Glastüren öffnete, meldete sich mein sechster Sinn. Auf den Brettern waren verschiedenste Sachen versammelt. Einige kannte ich vom Schwarzmarkt, manche waren echte Numa, andere nur nutzloser Krimskrams: eine Planchette, etwas Kreide, eine Tafel. Nutzloses Zeug, das bei S é ancen verwendet wurde, eben Dinge, die hysterische Amaurotiker mit Sehern verbanden. Anderes, wie die Kristallkugel, konnte von Propheten tatsächlich verwendet werden, um in die Zukunft zu sehen. Ich war keine Wahrsagerin, daher war keiner dieser Gegenstände für mich von Nutzen. Genau wie Graffias brauchte ich keine Objekte, um mich mit dem Æther zu verbinden.
    Ich brauchte dazu eine Herz-Lungen-Maschine. Und bis ich ein Sauerstoffgerät fand, würde ich streng darauf achten müssen, wie oft ich meinen Geist vom Körper löste. Denn genau so erweiterte ich meine Wahrnehmung des Æthers: Ich konnte meinen Geist aus seinem natürlichen Refugium herausschieben, bis an den äußersten Rand meiner Traumlandschaft. Das Problem bei der Sache war nur, dass mein

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