Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
Vom Netzwerk:
nicht kümmern. Die konnten sie immer noch fälschen. Sie konnten behaupten, was auch immer ihnen in den Kram passte. Wenn er jetzt in diesem Bett starb, könnten sie leicht sagen, ich hätte ihn erstickt. Das wäre die ideal Ausrede für Nashira, mich sofort zu töten.
    Vielleicht sollte ich es tun. Das war doch die Gelegenheit, ihn loszuwerden. Ich hatte schon einmal getötet. Ich konnte es wieder tun.
    Mir blieben drei Möglichkeiten: Ich konnte hier sitzen bleiben und ihm beim Sterben zusehen, ihn töten oder versuchen, die Blutung zu stoppen. Obwohl ich lieber zugesehen hätte, wie er starb, sagte mir eine innere Stimme, dass es vielleicht besser wäre, ihn zu retten. In Magdalen war ich wenigstens einigermaßen sicher. Im Moment war ein Umzug so ziemlich das Letzte, was ich wollte.
    Bis jetzt hatte er mir nichts getan, aber das würde noch kommen. Um mich zu besitzen, würde er mich unterwerfen müssen, mich foltern müssen, mich mit allen notwendigen Mitteln zum Gehorsam zwingen. Wenn ich ihn jetzt tötete, könnte ich mich damit vielleicht retten. Meine Hand wanderte zu einem Kissen. Ich könnte es tun, ich könnte ihn ersticken. Los, mach schon, töte ihn. Meine Finger schlossen sich um den Baumwollstoff. Töte ihn!
    Ich konnte es nicht tun. Er würde aufwachen. Aufwachen und mir das Genick brechen. Und selbst wenn nicht, ich hätte keine Chance, von hier zu fliehen. Die Wachen draußen würden mich wegen Mordes drankriegen.
    Also musste ich ihn retten.
    Irgendetwas warnte mich davor, die Decke zu berühren. Ich traute der seltsamen Flüssigkeit nicht. Dieses Glühen schrie geradezu Strahlung , und so ganz konnte ich die Warnung Scions vor einer Kontamination nicht vergessen. Deshalb ging ich zu der Schublade, wo ich die Streichhölzer gefunden hatte, und zog mir Handschuhe an. Sie waren riesig, für die Hände eines Rephait gemacht. Dadurch schränkten sie die Geschicklichkeit meiner Finger ziemlich ein. Als Nächstes zerriss ich ein sauberes Laken, ein hauchfeines Ding, das sowieso keine Wärme spendete. Mit den entstandenen Streifen ging ich ins Badezimmer, wo ich den Stoff in heißem Wasser einweichte.
    Das konnte funktionieren, würde ihm aber vielleicht nur ein paar Stunden erkaufen, genug, um aufzuwachen und sich von einem anderen Rephait behandeln zu lassen. Wenn er Glück hatte.
    Zurück im Schlafzimmer wappnete ich mich innerlich. Der Wächter sah aus wie ein Toter und fühlte sich auch so an. Die Kälte drang sogar durch die Handschuhe. Seine Haut war grau angelaufen. Ich wrang die Stoffstreifen aus und machte mich daran, die Wunde zu verbinden. Zuerst ganz vorsichtig, aber er rührte sich nicht. So schnell würde der nicht aufwachen.
    Draußen vor dem Fenster entfaltete die Sonne langsam ihre Kraft. Ich drückte Wasser auf die Wunde, wusch das Blut weg, pulte ein paar Steinchen aus dem Fleisch. Es kam mir vor, als würde es Stunden dauern, aber irgendwann schien meine Behandlung Wirkung zu zeigen. Nun konnte ich sehen, wie sich seine Brust hob und senkte, und an seiner Kehle pulsierte etwas. Mit einem zweiten Laken tupfte ich die Wunde noch einmal ab, fixierte den improvisierten Verband mit meiner Schärpe und darpierte dann die Decke vorsichtig um seinen Arm herum. Wenn er überleben wollte, lag der Rest nun bei ihm.
    *
    Ein paar Stunden später wachte ich auf.
    Die Stille verriet mir, dass ich allein im Zimmer war. Das Bett war gemacht und frisch bezogen, die Vorhänge waren mit bestickten Schals zurückgebunden, sodass die Wände in bleiches Mondlicht getaucht wurden.
    Der Wächter war verschwunden.
    An den Fenstern hatte sich Kondenswasser niedergeschlagen. Nachdenklich stand ich auf und setzte mich ans Feuer. Eigentlich war es unmöglich, dass ich mir die nächtliche Episode nur eingebildet hatte, es sei denn, ich litt immer noch unter Flashbacks vom Flux. Aber ich hatte doch das Gegenmittel genommen, mein Blut war also gereinigt. Was nur den Schluss zuließ, dass der Wächter – aus welchem Grund auch immer – wieder gegangen war.
    Auf dem Bett lag auch heute eine frische Uniform für mich, zusammen mit einem Zettel. In derselben Handschrift wie am Tag zuvor stand dort nur ein Wort:
    Morgen.
    Er war also nicht im Schlaf gestorben. Und meine Ausbildung war um einen weiteren Tag verschoben worden.
    Die Handschuhe waren weg, er musste sie wohl mitgenommen haben. Ich ging ins Badezimmer und schrubbte mir mit heißem Wasser die Hände. Dann zog ich die Uniform an, drückte die drei Tabletten

Weitere Kostenlose Bücher