The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
nur durchdringend an, offenbar wollten sie herausfinden, ob ich bluffte.
Alsafi fackelte nicht lange. Er packte mich am Handgelenk und zerrte mich zu dem Stuhl. Als ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehrte, schlang er seinen muskulösen Arm um meinen Hals. »Tu es«, zischte er mir ins Ohr, »oder ich breche dir jede einzelne Rippe, bis du in deinem eigenen Blut ersäufst.« Er schüttelte mich so heftig, dass die Welt vor meinen Augen tanzte. »Töte den Jungen. Sofort.«
»Nein«, weigerte ich mich wieder.
»Gehorche.«
» Nein .«
Alsafi verstärkte den Druck. Ich grub meine Nägel in seinen Ärmel, die Finger der anderen Hand glitten an seinem Körper entlang – und ertasteten das Messer an seinem Gürtel. Ein Papiermesser, mit dem man Briefumschläge aufschlitzte, aber es würde genügen. Ein Stich, und er ließ mich los. Taumelnd rettete ich mich in eine der Bänke und hielt das Messer vor mich.
»Bleibt weg«, warnte ich sie.
Nashira lachte. Die Richter fielen mit ein. Für sie war ich schließlich nicht mehr als eine neue Art von Akrobat. Nur ein schwächlicher Mensch, der Konfetti und Knallbonbons im Kopf hatte.
Doch der Wächter lachte nicht. Sein Blick hatte sich an meinem Gesicht festgesaugt. Ruckartig richtete ich das Messer auf ihn.
Gelassen kam Nashira auf mich zu. »Wie eindrucksvoll«, bemerkte sie. »Du gefällst mir, XX -40. Du hast Biss.«
Meine Hand begann zu zittern.
Alsafi musterte den Schnitt an seinem Arm. Leuchtende Flüssigkeit quoll aus der Wunde. Als ich einen Blick auf das Messer warf, sah ich, dass die Klinge ebenfalls damit bedeckt war.
Seb weinte leise. Ich packte das Messer fester, aber meine Handflächen waren feucht. Mit einem Papiermesser konnte ich schlecht gegen all diese Rephaim antreten. Außerdem konnte ich kaum mit einem Bügeleisen umgehen, geschweige denn ein Messer werfen.
Abgesehen von Nashiras fünf Engeln gab es hier keine Geister, die ich an mich binden konnte. Und ich würde wesentlich näher an Seb herankommen müssen, um ihn befreien zu können. Hinterher müsste ich dann noch einen Weg finden, um uns beide lebend hier rauszubringen.
»Arcturus, Aludra, nehmt ihr die Waffe ab«, befahl Nahira. »Ohne Geister.«
Einer der Richter schlug die Kapuze zurück. »Mit Vergnügen.«
Ich musterte sie. Es war Julians Hüterin. Mit ihren glatten blonden Haaren und den Katzenaugen wirkte sie verschlagen. Der Wächter hielt sich hinter ihr. Ich versuchte ihre Auren einzuschätzen.
Aludra war vollkommen ungehemmt. Dem Aussehen nach schien sie ein zivilisiertes Wesen zu sein, aber ich spürte, dass sie am liebsten gegeifert hätte vor Eifer. Sebs Schwäche erregte sie, sie hungerte nach meiner Aura und war ganz heiß auf einen Kampf. Sie wollte eine Portion Schimmer, und zwar sofort. Der Wächter war kälter und dunkler, seine Absichten blieben unklar – doch das machte ihn nur umso tödlicher. Wenn ich seine Aura nicht deuten konnte, konnte ich auch nicht vorhersehen, was er tun würde.
Plötzlich kam mir ein Gedanke. Durch das Blut des Wächters hatte ich das Gefühl bekommen, dem Æther näher zu sein. Vielleicht funktionierte das jetzt wieder. Ich holte tief Luft und hielt mir die Klinge dicht vor das Gesicht. Der scharfe Geruch ließ meine Sinne auf Hochtouren arbeiten, der Æther umfing mich auf einmal wie kaltes Wasser, umschloss mich völlig. Mit einer präzisen Drehung des Handgelenks schleuderte ich das Messer auf Aludras Gesicht, genau zwischen die Augen. Erst im letzten Moment konnte sie ihm ausweichen. Meine Treffsicherheit hatte sich verbessert – und zwar erheblich.
Aludra schnappte sich einen schweren Kerzenleuchter und wirbelte zu mir herum. »Na los, Kindchen«, rief sie. »Tanz mit mir.«
Ich wich zurück. Mit zertrümmertem Schädel wäre ich Seb keine große Hilfe mehr.
Aludra ging zum Angriff über, mit einem klaren Ziel: mich niederzuschlagen und sich dann von meinen Überresten zu nähren. Wären meine Sinne nicht übermäßig geschärft gewesen, hätte sie wahrscheinlich Erfolg gehabt. So wich ich seitlich aus und rollte mich ab, weshalb der Kerzenständer nicht mich traf, sondern einer Statue den Kopf abschlug. Sofort sprang ich wieder auf die Füße, hechtete mit einem Satz über den Altar und rannte quer durch die Kapelle, vorbei an den verhüllten Rephs, die sich in die Kirchenbänke gesetzt hatten.
Aludra griff wieder zu ihrer Waffe, und ich hörte ein leises Pfeifen, als sie den Kandelaber durch die Kapelle
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