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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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und Füßen Halt finden könnte. An den Gebäuden rankten sich dicke Kletterpflanzen empor, duftendes Geißblatt, Efeu und Glyzinien, aber alle reichten kaum mehr als einen Meter über den Boden. Darüber lagen die Fenster. Auf einem sandfarbenen Pfad umrundeten wir eine ovale Rasenfläche. Hier stand nur eine einzige Laterne, deren Scheiben rot getönt waren.
    Am Ende des Pfades erwartete uns eine Tür. Der Wächter sah mich nicht an, blieb aber kurz stehen.
    »Du wirst die Wunden nicht erwähnen«, sagte er so leise, dass er kaum zu verstehen war. »Oder du wirst es noch bereuen, mir das Leben gerettet zu haben.«
    Damit gab er seinem Gefolge ein Zeichen. Zwei von ihnen nahmen rechts und links von der Tür Aufstellung, der dritte – ein Lockenkopf mit hypnotischem Blick – baute sich an meiner freien Seite auf. So flankiert wurde ich durch die Tür geschoben, hinein in das kühle Innere des Gebäudes.
    Der Raum, den ich betrat, war schmal und reich verziert, mit Wänden aus elfenbeinfarbenem Stein. Die linke Wand war zudem in verschiedene warme Farben getaucht, da sich an ihr das Licht brach, das durch die Buntglasfenster fiel, welche das Mondlicht geradezu aufzusaugen schienen. Ich entdeckte fünf Gedenktafeln, hatte aber keine Zeit, sie mir näher anzusehen – ich wurde zu einem Torbogen geführt, durch den helleres Licht fiel. Der Wächter zog mich drei schwarze Marmorstufen hinauf, dann sank er auf ein Knie und neigte den Kopf. Als eine der Wachen mich durchdringend anstarrte, folgte ich seinem Beispiel.
    »Arcturus.«
    Schmale Finger in einem Lederhandschuh hoben sein Kinn an. Ich riskierte einen Blick nach oben.
    Nashira stand vor uns. Heute trug sie ein schwarzes Kleid, das sie vom Hals an abwärts komplett bedeckte. Im Licht der Kerzen umfloss es sie wie dunkles Wasser. Sie drückte dem Wächter die Lippen auf die Stirn, während er eine Hand an ihren Bauch legte.
    »Wie ich sehe, hast du unser kleines Wunderkind mitgebracht«, stellte Nashira mit Blick auf mich fest. »Guten Abend, XX -40.«
    Sie musterte mich von oben bis unten, sodass ich das Gefühl bekam, sie versuche, meine Aura zu lesen. Sofort errichtete ich ein paar schützende Barrieren. Der Wächter rührte keinen Finger, sein Gesicht war von mir abgewandt.
    Hinter dem Paar stand eine Reihe Rephaim, alle in Mäntel gekleidet, deren Kapuzen hochgezogen waren. Ihre Auren schienen die gesamte Kapelle zu erfüllen und meine von allen Seiten zu bedrängen. Ich war der einzige Mensch hier.
    »Ich nehme an, du weißt, warum du hier bist«, sagte Nashira.
    Ich presste die Lippen zusammen. Natürlich war mir klar, dass ich in Schwierigkeiten steckte, weil ich Seb Essen gebracht hatte, aber ich konnte auch wegen einiger anderer Dinge Ärger bekommen: weil ich den Wächter verarztet hatte, herumgeschnüffelt hatte, ein Mensch war. Höchstwahrscheinlich hatte Carl ihnen berichtet, wie sehr ich mich für seine Vision interessiert hatte.
    Oder vielleicht wussten sie auch, was ich war.
    »Wir haben sie beim Haus der Amaurotiker entdeckt«, erklärte eine der Wachen. Er war das verblüffende Abbild von Pleione, bis hin zur Form seiner Augen. »Sie hat sich dort im Dunkeln herumgedrückt wie eine Kanalratte.«
    »Vielen Dank, Alsafi.« Nashira sah auf mich hinab, erteilte mir aber nicht die Erlaubnis, mich zu erheben. »Soweit ich weiß, hast du versucht, einem der amaurotischen Dienstboten heimlich Essen zukommen zu lassen, 40. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?«
    »Weil ihr ihn verhungern lasst und ihn schlagt wie ein Tier. Er muss ins Krankenhaus oder zu einem Arzt.«
    Meine Stimme hallte durch die dunkle Kapelle. Die versammelten Rephaim blieben stumm. »Wie bedauerlich, dass du es so empfindest«, erwiderte Nashira, »aber in den Augen der Rephaim – die nun über euer Land herrschen – stehen Mensch und Tier auf derselben Stufe. Und Tiere werden bei uns nicht ärztlich versorgt.«
    Ich spürte, wie ich vor Wut ganz blass wurde, aber ich verkniff mir eine Antwort. Damit würde ich nur erreichen, dass sie Seb töteten.
    Nashira wandte sich ab. Der Wächter erhob sich, also stand ich auch auf.
    »Von der Einführung dürfte dir noch bekannt sein, 40, dass wir die Menschen, die wir während der Knochenernte einsammeln, verschiedenen Prüfungen unterziehen. Denn wir setzen unsere Rotjacken zwar auf Menschen mit einer Aura an, doch wir können nicht immer genau identifizieren, welche Fähigkeiten diese Aura mit sich bringt. Ich muss gestehen, dass uns

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