The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
für die Medikamente, Paige.«
Ich nickte. »Wann musst du zur Prüfung antreten?«
»Keine Ahnung. Aludra soll uns in Sublimierung unterrichten, aber die meiste Zeit schubst sie uns einfach nur rum.«
»Sublimierung?«
»Die Kunst, normale Gegenstände in Numa zu verwandeln. Diese Stöcke, die wir benutzt haben, als du neulich nach mir gesucht hast, die waren sublimiert. Und jeder kann sie benutzen, nicht nur Wahrsager.«
»Was bewirken sie?«
»Sie üben eine gewisse Kontrolle über die Geister in ihrer direkten Umgebung aus, aber man kann sie nicht dazu einsetzen, in den Æther zu blicken.«
»Dann sind es also keine richtigen Numa.«
»Aber trotzdem gefährlich«, wandte Liss ein. »Sie können von Totaugen benutzt werden. Und das Letzte, was wir gebrauchen können, wäre, dass Scion Ætherwaffen einsetzt.«
Julian schüttelte den Kopf. »Scion würde niemals Numa verwenden. Alles, was mit Sehern zu tun hat, ist für sie abstoßend.«
»Aber nicht die Rephaim.«
»Ich glaube nicht, dass sie die Rephs sonderlich mögen«, erwiderte ich. »Die sind auch Seher. Aber wegen der Bedrohung durch die Emim haben sie keine andere Wahl, als ihnen zu gehorchen.«
Das Wasser dampfte, dann begann es zu kochen. Liss goss es in drei Pappbecher und rührte das Granulat ein. Schon seit Tagen hatte ich keinen Kaffee mehr gerochen. Oder seit Wochen? Wie lange war ich schon hier?
»Da.« Einen Becher gab sie mir, den zweiten Julian. »Wo hat Aludra euch untergebracht, Jules?«
»In einem lichtlosen Raum. Ich glaube, das war früher mal ein Weinkeller. Wir schlafen auf dem Boden. Felix leidet unter Platzangst, und Ella vermisst ihre Familie. Sie weinen den halben Tag lang, weshalb ich dann nicht schlafen kann.«
»Sorg einfach dafür, dass sie dich rausschmeißt. Hier draußen ist es nicht leicht, aber weniger hart als unter einem Hüter. Von uns nähren sie sich nur, wenn wir zur falschen Zeit am falschen Ort sind.« Liss nahm einen Schluck. »Manche ertragen das nicht. Ich hatte einmal eine Freundin, die hier mit mir gewohnt hat, doch dann hat sie ihren Hüter angefleht, ihr eine zweite Chance zu geben. Heute ist sie ein Knochensammler.«
Schweigend tranken wir unseren Kaffee. Dann kochte Liss die Eier, und wir aßen sie direkt aus der Schale.
»Ich habe nachgedacht«, verkündete Julian schließlich. »Können die Rephs eigentlich dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen sind?«
Liss zuckte mit den Schultern. »Schätze schon.«
»Dann verstehe ich nicht, warum sie bleiben. Ich meine, sie waren ja nicht immer hier. Wie haben sie sich Auren beschafft, bevor sie uns gefunden haben?«
»Vielleicht hängt das mit den Summern zusammen«, schlug ich vor. »Nashira hat doch gesagt, sie wären eine ›parasitäre Rasse‹, oder nicht?«
Julian nickte. »Du meinst, die Summer haben ihnen irgendetwas weggenommen?«
»Ihren Verstand?«
Er schnaubte. »Genau. Oder vielleicht waren sie auch echt nett, bis die Summer ihnen das abgesaugt haben.«
Liss lachte nicht. »Es könnte an der Schwelle zum Æther liegen«, überlegte ich weiter. »Nashira hat gesagt, sie seien aufgetaucht, als die zerstört wurde.«
»Ich glaube nicht, dass wir das jemals erfahren werden.« Liss klang angespannt. »Immerhin werden sie es nicht öffentlich ausrufen lassen.«
»Warum nicht? Wenn sie so mächtig sind und wir so schwach, wozu dann diese Geheimniskrämerei?«
»Wissen ist Macht«, gab Julian zu bedenken. »Sie haben es, wir nicht.«
»Da irrst du dich, Bruder. Wissen ist gefährlich.« Liss zog die Knie an. Genau das hatte Duckett auch gesagt. »Wenn man erst mal etwas weiß, wird man es nicht mehr los. Dann muss man damit leben, für immer.«
Julian und ich tauschten einen schnellen Blick. Liss lebte schon ziemlich lange hier, vielleicht sollten wir ihren Rat beherzigen. Oder auch nicht. Vielleicht würde ihr Rat uns das Leben kosten.
»Überlegst du jemals, ob du dich dagegen auflehnen solltest, Liss?«, fragte ich vorsichtig.
»Täglich.«
»Aber du tust es nicht.«
»Ich stelle mir vor, wie ich Suhail mit bloßen Händen die Augen auskratze«, presste sie zähneknirschend hervor. »Ich stelle mir vor, wie ich Nashira mit hundert Schüssen niederstrecke, ihren Körper komplett durchsiebe. Ich stelle mir vor, wie ich Gomeisa die Kehle aufschlitze … Aber ich weiß, dass sie mich vorher umbringen würden, also tue ich es nicht.«
»Aber mit dieser Einstellung wirst du ewig hier festsitzen«, sagte Julian sanft. »Willst du
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