The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
konnten. Hierher kam man, um zu sterben.
Die Pfandleihe verbarg sich hinter einer Reihe dicker Vorhänge. Man musste genau wissen, wonach man suchte; ich fand sie auch nur, nachdem ich einen Clown danach gefragt hatte. Die Akrobatin sträubte sich erst dagegen, mir etwas zu verraten, und warnte mich vor Erpressern und unverschämten Preisen, doch dann zeigte sie mir den Weg.
Bewacht wurde der Laden von einem Gaukler, den ich bei unserer Einführung kurz gesehen hatte. Er saß auf einem Kissen und spielte mit einigen Würfeln. Keine Spur von einer weißen Tunika. Offenbar hatte er bei seiner Prüfung versagt. Welchen Nutzen hätten die Rephaim auch von einem Gaukler?
»Hallo«, sprach ich ihn an.
»Hi.« Ein reiner, melodischer Ton, typische Gauklerstimme.
»Könnte ich mit dem Pfandleiher sprechen?«
»Wie lautet das Passwort?«
» Specchio .«
Der Junge erhob sich. Sein rechtes Auge war völlig verklebt – entzündet. Er zog den Vorhang beiseite, und ich ging hinein.
In London waren Pfandleihen kleine, illegale Läden, die in den schlimmsten Vierteln der Zentralparzelle zu finden waren. In II -6 gab es auch jede Menge davon. Diese hier war nicht viel anders. Der Pfandleiher hatte sich in einer Art Zelt eingerichtet, das aus ähnlichen Stoffbahnen bestand wie die, mit denen Liss bei ihren Auftritten arbeitete. Beleuchtet wurde das Ganze nur von einer einzigen Petroleumlampe, aber anscheinend bestand die Hälfte des Ladens aus einer Art Spiegelkabinett. Der Besitzer saß in einem abgewetzten Ledersessel und starrte in das angelaufene Glas. Der Bauch des grauhaarigen Mannes war eindeutig zu gut gefüllt, als dass er ein Akrobat hätte sein können. Die Spiegel verrieten, was sein Spezialgebiet war: Katoptromantie.
Er hatte die glasigen Augen eines Propheten, der zu viel gesehen hatte. Als ich eintrat, hob er ein Monokel vor ein Auge und musterte mein Spiegelbild.
»Ich glaube nicht, dass ich dich schon einmal gesehen habe. Weder in meinen Spiegeln noch in meinem Laden.«
» XX . Knochenernte«, erwiderte ich knapp.
»Verstehe. Wem gehörst du?«
»Arcturus Mesarthim.«
Dieser Name machte mich ganz krank, ich wollte ihn weder hören noch sagen müssen.
»So, so.« Er tätschelte seinen Bauch. »Dann bist du also seine Untermieterin.«
»Wie heißt du?«
» XVI -19–16.«
»Ich meine deinen richtigen Namen.«
»An den erinnere ich mich nicht mehr, aber die Akrobaten nennen mich Duckett. Falls du lieber richtige Namen verwendest.«
»Allerdings.«
Ich sah mir seine Waren an, doch das meiste davon waren Numa: gesprungene Handspiegel, Glasflaschen mit Wasser, Schalen, Becher, Perlen, Säckchen mit Tierknochen, Karten und Sehersteine. Dann gab es da noch die Pflanzen. Astern, Rosen, Salbei, Thymian und andere Kräuter, die sich gut anzünden ließen. Daneben fanden sich aber auch praktischere Dinge, die überlebenswichtig sein konnten. Diesem Stapel widmete ich mehr Aufmerksamkeit – Decken, schlaffe Kissen, Streichhölzer, eine Pinzette, medizinischer Alkohol, Aspirin und Hautsalben, einige Dosen Trockenspiritus, eine Tube Augensalbe, Verbandszeug und Desinfektionsmittel. Ich griff nach einer alten Zunderbüchse. »Wo hast du das alles her?«
»Hier und da findet sich etwas.«
»Ich nehme mal an, die Rephs wissen nichts davon.« Das beantwortete er mit einem schmalen Lächeln. »Und wie funktioniert so ein illegaler Laden hier?«
»Na ja, sagen wir mal, du bist ein Knochenorakel, dann bräuchtest du logischerweise Knochen, um deine Gabe nutzen zu können. Wenn deine Knochen konfisziert wurden, müsstest du dir neue suchen.« Er zeigte auf einen Beutel, auf dem »Ratte« stand. »Dann würde ich dir eine Aufgabe stellen, zum Beispiel, mir neue Ware zu besorgen oder eine Nachricht zu überbringen – je wertvoller der Gegenstand, den du brauchst, desto gefährlicher die Aufgabe. Falls du den Auftrag erfüllst, bekommst du von mir die Knochen. Um die Ware nur für begrenzte Zeit zu borgen, müsstest du mir eine gewisse Summe an Numa zahlen, die du zurückerhältst, wenn du mir die Ware wiederbringst. Ein simples, aber effizientes System.«
Das klang anders als bei einer gewöhnlichen Pfandleihe, in der man Waren versetzte, um sich Geld zu leihen. »Und was verlangst du für Informationen?«
»Das hängt davon ab, welcher Art sie sein sollen.«
Ich legte die verbliebene Pillenhälfte vor ihn hin. »Was ist das?«
Angestrengt starrte er darauf, dann ließ er das Monokel sinken und hob sie auf.
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