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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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ernähre mich nicht von Fleisch oder Blut. Und es macht mir auch keine Freude, darum zu bitten. Aber ich liege im Sterben, und zufälligerweise – nur in diesem Fall, aufgrund der Art meiner Verletzungen – kann dein Blut mich heilen.«
    »Du klingst aber nicht so, als wärst du dem Tode nah, und du siehst auch nicht so aus.«
    »Vertrau mir, es ist so.«
    Ich wollte gar nicht wissen, wie sie herausgefunden hatten, dass menschliches Blut diese Infektion bekämpfen konnte. Ich wusste ja nicht einmal, ob es stimmte.
    »Warum sollte ich dir trauen?«
    »Weil ich dich vor der Demütigung bewahrt habe, in der Narrentruppe des Oberaufsehers mitspielen zu müssen. Um nur einen Grund zu nennen.«
    »Und wenn ich zwei bräuchte?«
    »Ich wäre dir einen Gefallen schuldig.«
    »Jede Art von Gefallen?«
    »Alles außer deiner Freiheit.«
    Das machte mich für kurze Zeit sprachlos. Er hatte meine Forderung vorausgeahnt. Dabei hätte ich wissen müssen, dass es zu viel verlangt wäre, um meine Freiheit zu bitten. Andererseits konnte sich ein Gefallen von ihm als unschätzbar wertvoll erweisen.
    Ich hob eine der Scherben vom Boden auf, offenbar das Bruchstück eines Fläschchens, und zog sie entschlossen quer über mein Handgelenk. Als ich es ihm hinstreckte, kniff er misstrauisch die Augen zusammen.
    »Nimm es«, sagte ich, »bevor ich es mir anders überlege.«
    Lange sah der Wächter mich stumm an, als würde er in meinem Gesicht nach etwas suchen. Dann packte er meinen Unterarm und zog das Gelenk an den Mund.
    Seine Zunge strich über die offene Wunde. Mit einem leichten Druckgefühl schlossen sich seine Lippen darüber, und er presste das Blut aus meinem Arm. Eine leichte Bewegung an seiner Kehle verriet mir, dass er trank. Bald hatte er einen festen Rhythmus entwickelt, ohne jeden Blutdurst oder Rausch. Für ihn war das eine medizinische Prozedur, klinisch und steril – nicht mehr und nicht weniger.
    Als er mein Handgelenk losließ, setzte ich mich zurück auf das Bett. Zu schnell. Der Wächter half mir auf die Kissen. »Ganz langsam.«
    Er stand auf und ging ins Badezimmer, jetzt schon sichtlich gestärkt. Als er zurückkam, hatte er ein Glas mit kaltem Wasser dabei. Vorsichtig schob er einen Arm unter meinen Rücken und brachte mich in eine sitzende Position, sodass ich halb in seiner Armbeuge lag. Ich trank. Irgendetwas machte das Wasser süß.
    »Weiß Nashira davon?«, fragte ich.
    Seine Miene verfinsterte sich.
    »Es könnte sein, dass sie dich bezüglich meiner Abwesenheit befragt. Und bezüglich der Verletzungen«, gab er zu.
    »Dann weiß sie es also nicht.«
    Keine Antwort.
    Er legte mich so auf die großen Samtkissen, dass mein Kopf gut gestützt wurde. Das Schwindelgefühl ließ bereits nach, aber aus meinem Arm tropfte noch immer Blut. Als er das sah, holte der Wächter eine Rolle Mullbinden aus dem Nachttisch. Meine Mullbinden, das erkannte ich an dem Band, mit dem sie zusammengehalten wurden. Er musste sie aus meinem Rucksack genommen haben. Bei dem Gedanken, dass er Zugriff auf meine Sachen hatte, wurde mir kalt. Was war mit dem verschwundenen Flugblatt, hatte er das auch? Hatte er es gelesen?
    Er griff nach meinem Handgelenk. Die langen Finger in den Handschuhen waren erstaunlich sanft, als er das weiße Material auf die Wunde legte. Wahrscheinlich war das seine Art, Dankbarkeit zu zeigen. Sobald kein Blut mehr durch den Verband drang, steckte er ihn mit einer Nadel fest und legte den Arm auf meiner Brust ab. Ich sah ihm unverwandt ins Gesicht.
    »So wie es aussieht, befinden wir uns in einer Pattsituation«, stellte er fest. »Du hast ein Talent dafür, mich in delikaten Situationen zu überraschen. Ich nehme an, dass es dir eine gewisse Freude bereitet, mich in solchen Momenten der Schwäche zu sehen; dennoch gibst du mir dein Blut. Du reinigst meine Wunden. Welches Motiv steckt dahinter?«
    »Vielleicht benötige ich eine Gefälligkeit. Und ich sehe es nicht gerne, wenn jemand stirbt. Ich bin nicht wie du.«
    »Du urteilst vorschnell.«
    »Du hast zugesehen, wie sie ihn getötet hat.« Eigentlich hätte ich Angst haben sollen, so etwas zu sagen, aber es war mir egal. »Du hast zugesehen . Dabei musst du gewusst haben, was sie vorhatte.«
    Der Wächter antwortete nicht. Wütend drehte ich mich weg.
    »Vielleicht bin ich ja ein Pharisäer«, sagte er schließlich.
    »Ein was?«
    »Ein Heuchler. Ich mag diesen Ausdruck einfach lieber«, erklärte er. »Mag sein, dass du in mir das Böse siehst, aber ich

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