The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
halte mein Wort. Wirst du auch deines halten?«
»Worauf willst du hinaus?«
»Was heute hier passiert ist, darf diese vier Wände niemals verlassen. Ich möchte wissen, ob du das Geheimnis wahren wirst.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil es dir nicht helfen würde, es nicht zu tun.«
»Dann wäre ich dich los.«
Bildete ich mir das nur ein oder veränderten sich seine Augen mal wieder?
»Ja, mich wärest du dann los«, nickte er. »Aber dein Leben würde dadurch nicht besser. Falls sie dich nicht auf die Straße setzen, könnten sie dir einen neuen Hüter zuteilen, und nicht alle von ihnen sind so liberal eingestellt wie ich. Für einiges von dem, was du während der vergangenen Tage zu mir gesagt hast, hätte ich dich von Rechts wegen zu Tode prügeln müssen. Doch mir ist bewusst, wie wertvoll du bist. Andere erkennen das vielleicht nicht.«
Ich setzte zu einer Antwort an, wusste dann aber nicht, was ich sagen sollte. Es war wahr: Ich wollte keinen anderen Hüter, nicht wenn sie alle waren wie Thuban.
»Du willst also, dass ich dein Geheimnis für mich behalte.« Nachdenklich rieb ich über mein Handgelenk. »Was kriege ich dafür?«
»Ich werde versuchen, dich zu schützen. Hier gibt es unzählige Gefahren, die dich das Leben kosten können, und du gibst dir nicht gerade viel Mühe, das zu vermeiden.«
»Irgendwann werde ich so oder so sterben. Ich weiß, was Nashira mit mir vorhat. Du kannst mich nicht beschützen.«
»Letzten Endes vielleicht nicht, aber ich gehe davon aus, dass du deine Prüfungen überleben möchtest.«
»Wozu?«
»Um ihr zu beweisen, wie stark du bist. Du bist keine Gelbjacke. Du könntest lernen zu kämpfen.«
»Ich will gar nicht kämpfen.«
»Doch, das willst du. Es liegt in deiner Natur.«
Die Uhr in der Ecke schlug zur vollen Stunde.
Mich mit einem Reph zu verbünden, war falsch. Gleichzeitig würde es meine Überlebenschancen drastisch erhöhen. Er konnte mir Ausrüstung besorgen, mir dabei helfen zu überleben. Vielleicht sogar so lange, bis ich von hier verschwinden konnte.
»Na schön«, sagte ich. »Ich werde es niemandem verraten. Aber du schuldest mir trotzdem noch einen Gefallen.« Demonstrativ hob ich den Unterarm an. »Für das Blut.«
Genau in diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen, und ein weiblicher Reph stürmte ins Zimmer – Pleione Sualocin. Erst musterte sie das Chaos im Raum, dann mich und schließlich den Wächter. Wortlos warf sie ihm ein Plastikröhrchen zu, das er mit einer Hand auffing. Ich sah genauer hin.
Blut. Menschenblut. Es war mit einem kleinen, grauen Dreieck und einer Nummer gekennzeichnet: AXIV – Amaurotiker 14.
Seb.
Stumm sah ich den Wächter an. Er neigte nur leicht den Kopf, als teilten wir ein kleines Geheimnis. Abgrundtiefer Ekel packte mich. Ich stand auf, durch den Blutverlust immer noch etwas geschwächt, und schleppte mich die Treppe zu meiner Zelle hinauf.
Kapitel Dreizehn
S EIN B ILD
Bei meiner ersten Begegnung mit Nick Nygård war ich neun Jahre alt. Als wir uns wiedersahen, war ich sechzehn.
Es war im Sommersemester 2056 , und an der Schule für Höhere Töchter von Sektor III -5 waren wir Elftklässlerinnen in die wichtigste Phase unseres bisherigen Lebens eingetreten. Entweder blieben wir noch zwei weitere Jahre auf der Schule und besuchten Kurse, die uns auf ein Universitätsstudium vorbereiten sollten, oder wir gingen ab und suchten uns einen Job. Um die Unentschlossenen zu bekehren, hatte die Direktorin einige Redner eingeladen, deren Vorträge uns inspirieren sollten: SVD -Agenten, Medienpersönlichkeiten und sogar einen Politiker des Archonitats, den Minister für Migrationsangelegenheiten. Jener spezielle Tag war den medizinischen Wissenschaften gewidmet. Alle zweihundert Schülerinnen wurden – brav in die schwarzen Hosenanzüge mit den roten Schleifen und weißen Blusen gekleidet – in den großen Vortragssaal gescheucht. Miss Briskin, die Chemielehrerin, betrat das Podium.
»Guten Morgen, Mädchen«, begrüßte sie uns. »Wie schön, euch alle so munter und pünktlich hier zu sehen. Viele von euch haben Interesse daran geäußert, eine Laufbahn in der Forschung einzuschlagen« – ich nicht – , »weshalb dieser Vortrag sicher zu jenen gehören wird, welche die größten Denkanstöße liefern.« Verhaltener Applaus. »Unser Gastredner hat bereits eine sehr aufregende Karriere hinter sich.« Das überzeugte mich nicht. »Im Jahr 2046 wechselte er von der Scion-Universität Stockholm hierher
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