The Cocka Hola Company: Roman
Menschenfreundlichkeit muss das Fräulein nett und freundlich antworten:
– Ja, Lonyl?
Und Lonyl, dem längst klar ist, dass all diese Scheißlehrer in einer Zwangsjacke billiger Pädagogik zappeln, sagt:
– Kannst du bitte so näääätt sein und mir sagen, wann es halb eins ist, Fräulein?
Er sagt den Satz auf eine Art und Weise, die jenseits von aller Bosheit liegt, und die Vertretungslehrerin spuckt:
– JaaberjetztsetztdudichaufdeinenPLATZ!«
Nach einem weiteren kurzen Schluckaufanfall strebt er im Rücken der Vertretungslehrerin seinem Fensterplatz in der ersten Reihe zu; die Beine seiner roten Stepphosen machen dabei leise sswisch-sswisch-sswisch. Kaum sitzt er, setzt es den nächsten Ausbruch seitens des Vertretungsfräuleins:
– Du weißt GENAU, dass du die Oberbekleidung draußen im Gang auszuziehen hast, wie alle anderen! Abmarsch!«
Lonyl sswisch-sswisch-sswischt zurück und zieht im Vorübergehen einen Finger über die Tafel, an der Z - ZEBRA steht; er teilt Z - ZEBRA mit einem blassen Strich in der Mitte. Dann trödelt er irritierend lange draußen im Gang herum. Fast 20 Minuten der ersten Stunde sind vergangen, bis er endlich sitzt, aber noch hat das Vertretungsfräulein – blind vor Wut – das Detail mit dem fehlenden Rucksack nicht registriert. Sie bemerkt es erst, als sie sich mitten in der Einladung befindet, Lonyl möge doch seine Fibel rausholen, und als ihr aufgeht, dass Lonyls Scheißrucksack nicht da ist, spürt sie, wie ihre sauer ersparte Energie, die sie mithilfe von Entspannungs- und Atemtechniken undsoweiter zu konzentrieren gelernt hat, aus ihr rausläuft wie aus einem Wasserhahn. Sie beherrscht sich und erkundigt sich mit einem bebenden Seufzer, was er mit seinem Ranzen gemacht hat.
– Hab ich zu Hause vergessen, antwortet Lonyl.
– Dann musst du … verflucht nochmal … ihn holen gehen, Lonyl … das geht doch NICHT! Du kannst nicht ohne Ranzen zur Schule kommen. Nach Hause mit dir, sofort, hol deinen Ranzen … und … (Mischung von Schluckauf und Seufzer) … komm sofort zurück, damit du mitkriegst, was wir hier alle miteinander lernen …
Lonyl unterbricht sie mit einer blanken Lüge:
– Bei mir zu Hause ist niemand. Mama und Papa sind weg.
– (Erneuter Schluckauf/Seufzer) Sind sie das, ach ja? Hast du denn keinen Schlüssel, Lonyl?
– Nein.
– Dann können wir ja gar nicht schauen, ob du deine Hausaufgaben gemacht hast.
Und so nimmt die erste Stunde ihren Lauf; Lonyl bekommt eine Fibel und einen Bleistift geliehen, in die und mit dem er in dieser Stunde kein einziges vernünftiges Wörtchen schreibt, ebenso wenig wie in den nächsten Stunden. Stattdessen wird die Fibel ein nasser Putzlappen sein, bevor der Schultag um ist. In der Pause – Hofpflicht! – sitzt Lonyl, wie Eisenmann es beim Vorbeirennen sieht, allein im Gang und bekritzelt die Wände.
Nach der ersten Stunde geht die Lehrerin ins Lehrerzimmer hoch und sucht die Telefonnummer von Lonyls Eltern heraus. Ihre Geduld ist erschöpft. Sie hat längst aufgegeben, den Eltern Nachrichten zu schreiben. Sie wählt Simpels Nummer. Der Finger, mit dem sie das tut, zittert vor Wut.
Simpel ist sämtliche Vorstöße seitens der Schule so tödlich leid; er kann ja doch nichts Überzeugendes darauf erwidern. Die meisten Situationen des Lebens übersteht er irritierend selbstsicher und abweisend, aber das letzte Weihnachtsfest hat ihm offenbar einen Knacks verpasst; jedes Mal, wenn er mit einem Verantwortlichen der B-Schule spricht, beginnt ihm zu seiner unsagbaren Pein die Stimme zu zittern. Simpel sitzt da und hört mit, wie das Vibrato in seiner Stimme das, was er sagt, überlagert, wie es immer stärker wird, je deutlicher es ihm auffällt, und je deutlicher ihm das klar wird, desto schwächer werden seine Antworten, weil er sich auf nichts mehr konzentrieren kann als auf das verfluchte Vibrato. Darum hat er die Nummer der B-Schule im Telefonbuch seines Handys gespeichert, so dass er auf dem Display sehen kann, wenn Fräulein oder Inspektor Soundso anzurufen versuchen. Eben jetzt sitzt er an seinem Schreibtisch, das Handy in der Hand. Es klingelt. Er schaut auf das Display. B-Scheißschule steht da. Er hat sich die Mühe gemacht, mit den Zahlentasten S-c-h-e-i-ß-s-c-h-u-l-e einzugeben. Wieder klingelt das Telefon. Am anderen Ende steht das Vertretungsfräulein, ihre ekligen Zähne und ekligen Lippen dicht am Hörer. Simpel kneift die Augen zusammen. Es kann noch keine Stunde her sein, dass
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