The Cocka Hola Company: Roman
Lonyl losgegangen ist. »Verfluchte Scheiße!«, denkt er. »Ich packe das nicht, ich packe das nicht, ich muss arbeiten, ich kann nicht mit irgendeinem Arschloch reden, das sich sowieso nur über Lonyl auslassen will!«, denkt er, »die müssen verflucht nochmal selber mit dem Jungen zurechtkommen die paar Stunden, wo er in ihren Händen ist, wann sollen Leute wie ich denn zum Arbeiten kommen, wenn sie unablässig bei Fuß stehen müssen, falls ihre Nachkommenschaft mal was anstellt, wofür werden die Idioten da in der Schule eigentlich bezahlt? Diese Scheißbeamten, die sollen langsam mal ihre Arbeit tun, was die nur immer alles erzählen von wegen Lonyl hat dies und Lonyl hat das, ich hab das Gemecker satt! Wenn ich jetzt abnehme, kriege ich wieder eine Liste vorgebetet, was Lonyl alles getan hat, und was soll ich dann sagen? O nein wirklich, hat er das getan? Hat sich der kleine Lonyl schlecht benommen? O jeh, o jeh, so was hat er aber noch nie gemacht, er ist doch sonst immer so brav. FÜRWENHÄLTSTDUDICHVERDAMMTESCHEISSE?? ICH BIN DER VERFICKTE SCHEISSVATER VON DEM KIND, DU FOTZE! MACH DEINE ARBEIT UND HALT DIE SCHNAUZE, DU SCHEISS INKOMPETENTES ARSCHLOCH-FOTZE-NERVENWRACK!!!«, denkt Simpel. Er nimmt nicht ab.
Der ernsthaft verhaltensgestörte Lonyl war schon oft beim Kinderpsychiater, für Simpel jedes Mal ein noch schlimmerer Alptraum. Jedes Mal hat er Motha angebettelt, ob sie nicht (BIIIIIITTE!) an seiner Stelle hingehen kann, aber sie lässt sich nicht erweichen (Geh du Ssiimpel, iss einzige Ve’plichtung, die du haas). Also hereinspaziert in Zimmer 217, wo Kinderpsychiater Dr. Berlitz mit seinem ernsten Pfaffengesicht sitzt, so voller bekümmertem Verständnis, dass Simpel jedes verfluchte Mal kurz vorm Zusammenbruch steht. Das Vibrato erbebt schon im »Guten Tag!«, mit dem die Psychosau von Anfang an Überhand bekommt; Simpel hat es Motha mehrmals geschildert: »Ich könnte genauso gut gleich die Hose runterziehen, mich über seinen Tisch legen und sagen, bitte schön, stecken Sie ihn mir rein.« Und dann geißelt der Psychiater-Pädagoge Simpel eine geschlagene Dreiviertelstunde lang (die Dauer einer guten alten Schulstunde) mit seiner verlogenen Fürsorglichkeit, eigentlich das ekelerregendste Symptom von Machtkrankheit. Verfluchter Fürsorglichkeitsnazi. Er diskutiert und erwägt das Für und Wider aller möglicher Programme und Maßnahmen, um Lonyl zu helfen, dass er »seine Verhaltensstörung in den Griff bekommt, ohne dazu sein natürliches Schul- und Freundesmilieu verlassen zu müssen«. Simpel erzählt ihm nicht, dass Lonyl keinen einzigen Freund hat und schon gar kein natürliches Schulmilieu, er scheißt drauf, aus dem einfachen Grund, dass Herr Berlitz auf Simpel scheißt und Lonyl hasst . Simpels Job in Zimmer 217 besteht ganz einfach darin, dazusitzen und stumm zu nicken. Kinderpsychiater Berlitz bezieht sich stets auf dieselbe Anzahl Bücher und Abhandlungen, die er anempfiehlt, denn »sie könnten für Lonyls Erziehungsberechtigte von Nutzen sein, um baldige Lösungsansätze bezüglich Lonyls Problemen zu finden.« Auch wenn man ihm nur einen dieser Titel servieren würde, würde Simpel schon Stressherpes und Hämorrhoiden entwickeln: Hal. S. Pitt: »The Problem Child-Solver«, William Sonnenberg: »Integrating the Unintegratable«, Susie Krauss-Putz: »Yes to the No-Child«, Gordon I.S.P. Heissberg: »Concerning Contrarity: An Introduction to Treatment of the Anti-Adaptable«.
Herr Berlitz engagiert sich in der Kommunalpolitik. Die Kommunalpolitik füllt Herrn Berlitz aus , und sein Einblick in die kommunalpolitischen Zusammenhänge, gepaart mit eingebildeter kultureller Bedeutung, vermittelt ihm das Gefühl voller Kontrolle über sein gesellschaftlich gesteuertes Leben. Er besitzt eine große, stets aktuelle CD-Sammlung mit Schwerpunkt auf Klassischem und Jazzigem samt einiger minimalistischer Musik. All das spielt er auf einer einwandfreien Superanlage ab, vor der er einen in seinen Augen präzise designten Lehnstuhl platziert hat. Berlitz kommt abends zur Ruhe, indem er mit einem Glas Rotwein und geschlossenen Augen im Fokus sitzt, da, wo sich die Stereomusik trifft , wo es klingt, als entstünde die Musik in seinem Kopf und käme nicht aus den Lautsprechern. Er entleert sich von den Eindrücken des Tages und lässt Wein und Musik an ihre Stelle fließen. Der 950-ml-Burgunderpokal von SPIEGELAU ist sorgsam gewählt, Berlitz ist sicher, dass er von Geschmack und Kennerschaft
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