The Cocka Hola Company: Roman
Simpel an und streichelt ihm über Brust und Stirn. Er liegt absolut reglos da. Quasi tot. Motha schaut seinen Brustkorb an, ob er überhaupt noch atmet. Bald ist es zwölf, Motha weiß, dass er demnächst aufwacht. Sie hat das Xanax-Glas auf seiner Seite auf dem Nachttisch bereitgestellt, neben seinen Zigaretten, auf einen Stapel obskuren Lesestoff (alles Mögliche von Mauritius’ Kosmologie bis hin zu Landau und Kumers Pop-Wissenschaft), denn sie weiß nur zu gut, dass nach acht-, neunstündigem Schlaf kein Fünkchen Xanax mehr im Zentralnervensystem herumspukt. Sobald er aufwacht, muss das Stoffgleichgewicht (oder -ungleichgewicht, wie man’s sieht) wiederhergestellt werden, schon um des häuslichen Friedens willen.
Wenige Minuten später wacht Simpel auf und schnellt mit dem Oberkörper hoch wie ein Vampir im Sarg. Er flucht und schimpft halblaut vor sich hin, bis sein vor Entzug glitzernder Blick das Xanax-Glas streift, dann schnappt er es sich, stolpert durchs Wohnzimmer ins Bad, dann in die Küche. Er knallt sich 1 Milligramm rein, gießt den von Motha aufgesetzten Kaffee weg und macht neuen. Eine gute Viertelstunde lang tapst er nackt, leise meckernd und rauchend durch die Wohnung, bis er zufällig Tiptop entdeckt, der vollständig angezogen auf dem Wildledersofa sitzt und schläft, das Kinn auf die Brust gesenkt. »Scheißdrogi«, denkt Simpel und zieht seine übliche Tarnkluft an. Als er die Hose zuknöpft, kneift er sich in den Bauchspeck, eine bescheidene Handvoll, mehr nicht, und denkt, dass er für einen Vierzigjährigen wirklich schlank geblieben ist, aber scheiß drauf, denkt er, ich scheiß komplett drauf, wie ich aussehe, denkt er weiter, und dann mag er nicht mehr weiterdenken, bis er die nackte Motha im Bett liegen sieht und denkt, er scheißt genauso komplett drauf, wie sie aussieht, aber dass sie so aussieht, wie sie aussieht, schadet auch nichts. Dann geht er ins Wohnzimmer.
– Hunger, Lonyl? Carpaccio?
– Ja.
Simpel nimmt sich eine Tasse Kaffee und vergisst alles, was mit Essen zu tun hat. Stattdessen setzt er sich neben Tiptop aufs Sofa und raucht. Das Xanax ist mittlerweile ins Kleinhirn vorgedrungen, er fühlt sich ganz okay. Er stupst Tiptop mit dem Knie an; drei, vier Sekunden nach dem Stupser reagiert Tiptop. Nach allerlei Hin und Her kriegt er die Augen auf, die längere Zeit aber nur verschwommene Bilder liefern, und lässt schließlich, als es ihm gelingt, den Blick auf Simpel scharf zu stellen, eine Mischung von Kichern und Stöhnen und Lächeln los.
– Hallo, sagt er.
– Da sitzt du hier und pennst, du Scheißdrogi, sagt Simpel.
– Mmm …
– Sieh zu, dass du auf die Beine kommst.
– Mmm …, nickt Tiptop.
– Was sitzt du noch hier rum?
– Eeeh … iiich …, sagt Tiptop mit nasaler Junkiestimme.
– Nein, vergiss es, war nur Scheiß, Tiptoppi … Ich find’s verdammt nett von dir, dass du an meinem Geburtstag mal reinschaust, viele denken nicht daran, da kannst du mir glauben, manchmal überraschst du mich wirklich, Tiptop, Scheiße, danke. Casco vergisst das sicher.
Simpel lächelt Tiptop ganz ungewöhnlich freundlich zu.
– Ooooojajaja … keine Ursache. Ist mir ein Vergnügen … Simpel. Gratuliere …
– Scheiße, du verdammter Lügner, du lügst, Tiptop, Scheiße, ich hab heute gar nicht Geburtstag, du bist ein beschissener Arschkriecher, Tiptop, ein verdammter Loser, ein viel schlimmerer pretender , als ich gedacht hab …
– Ach Manno, sei doch nicht immer so, Simpel, ich kenn mich doch mit Geburtstagen und so nicht aus … hab da keinen Überblick … musst du dich gleich so aufregen?
– Schnauze, ich hab dich testen wollen, was für ein Weichei du bist, du bist ein verdammtes Weichei, pass bloß auf … Penner.
– Häh?
– Du lügst, dass es nur so stinkt … ohne Grund … beschissener Feigling …
– Okay … okay … okay … ein Punkt für dich, Simpel … Glückwunsch! Okay, ich bin feige. Und?
Tiptop legt Cathrine Færøys Abschiedsbrief, den er beim Schlafen in der Hand behalten hat, auf den Tisch. Simpel reagiert sofort.
– Was ist das? Eine Geburtstagskarte?
– … Weiß der Teufel … hab das im Rucksack von dem kleinen Neger da gefunden. Tiptop nickt zu Lonyl hin, der das Loch auf dem Bildschirm wieder ausgemalt hat. Simpel schaut auf den Jungen, auf den Bildschirm, auf den Jungen und schnauzt los: »… Lonyl! Verdammte Scheiße! Was machst du da …«, aber dann mustert er den Brief und vergisst alles
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