The Cocka Hola Company: Roman
Wohnvierteln müssen zugunsten des »Gesichts« der U-Bahn im Zentrum zurückstehen.
70%ige Kürzung .
Die Kürzungsmaßnahme wurde bereits im Mai von der Geschäftsführung der Verkehrsbetriebe buchstäblich über Nacht beschlossen. Bis dahin waren sechs Personen zur Entfernung von Tags und Graffiti angestellt – das Ziel war, neue Schmierereien binnen 24 Stunden zu entfernen. Seitdem stehen nur noch zwei Vollzeitkräfte zur Verfügung. Paul Bottomski, Sprecher der Verkehrsbetriebe, räumt ein, dass »zentrumsferne Stationen in der Tat längere Zeit, möglicherweise über Wochen, nicht von Graffiti gereinigt werden.«
Die beiden übrig gebliebenen Kräfte kämpfen einen aussichtslosen Kampf seit dem »Budgetmassaker«, wie die Kürzung in der Betriebszeitung genannt wurde. In deren letzter Nummer spricht der externe Fachberater für die Entfernung von Tags und Graffiti, Göran Persson, Klartext: »Ich bin ausgesprochen frustriert. Dieses Rumpfbudget erlaubt höchstens noch kosmetische Oberflächenmaßnahmen.«
Noch vor einem Jahr wurde das von Persson angeleitete Team als landesweit vorbildlich in Sachen Graffitientfernung gelobt. Kollegen aus dem In- und Ausland kamen zu Fortbildungszwecken in die Stadt. »Jetzt droht unsere mühsam aufgebaute Kompetenz verloren zu gehen«, befürchtet Persson. »Bahnhöfe aller Linien sehen ganz fürchterlich aus. Wir müssen machtlos mit ansehen, wie sich der Mob austobt.«
»Das darf doch nicht wahr sein! Wie kann man diese Schweine nur machen lassen! Zerstörung, Gewalt, Schmerzen! Unerträglich!«, zischt Berlitz, als er das liest. Er nimmt das Telefon zur Hand, lässt sich von der Auskunft Perssons Nummer geben und mit ihm verbinden. Persson ist begeistert. Sie kommen sofort ins Gespräch und stellen alsbald fest, dass sie Brüder im Geiste sind, so gut wie wortgleich könnte der eine die Meinungen des anderen in Sachen Graffitipolitik äußern. Berlitz weiht Persson sofort in seinen Plan ein, »eine granitharte Kampagne gegen die Versauung unserer Stadt« durchzuführen, wie er es ausdrückt, ein Plan, dem Persson sofort enthusiastisch zustimmt. In der Folgezeit laden sie sich gegenseitig bei diversen Gelegenheiten als Referenten ein, bei Berlitz’großer Konferenz ist Persson der Hauptredner. Auf halber Strecke bleibt ihm vor Begeisterung die Stimme weg, er schlägt ein paarmal mit den Knöcheln seiner Rechten auf das Rednerpult, bevor er weitersprechen kann. Persson schließt mit einem flammenden Appell, die Arme auf Brusthöhe weit ausgebreitet wie ein Kreuz: »Wir werden eine schöne, funkelnde, strahlend saubere und schöne Stadt haben, KOSTE ES, WAS ES WOLLE!« Mitgerissen springt Kinderpsychiater Berlitz auf und spendet ihm standing ovations – das übrige Publikum klatscht sitzend.
Seither stehen Berlitz und Persson in ständigem Kontakt, nicht nur fachlich, auch ihre Freundschaft blüht, und so nimmt Persson selbstverständlich an der heutigen außerordentlichen Lehrerkonferenz lonylhalber teil. Die Tagesordnung enthält drei Punkte:
1) Der Nervenzusammenbruch der Vertretungslehrerin . Die Kollegen, die am gestrigen Freitag Zeugen des Zusammenbruchs waren, werden von Berlitz einem Verhör unterzogen; er will jedes Detail des Anfalls erfahren. Er legt seine Stirn in fachlich-bekümmerte Falten und erwägt mögliche Diagnosen. Das Personal in der Psychiatrie, wo sich die Kollegin seit gestern befindet, hat bislang keine klare Auskunft gegeben. Als einzige Therapie haben sie die Lehrkraft mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt, damit sie aufhört, so grässlich zu schreien und zu jammern. Das Kollegium gelangt rasch zu dem Schluss, dass Lonyl Auslöser und Ursache des Zusammenbruchs war, schließlich war sein Name das Einzige, was sie noch herausbrachte. Berlitz zermartert sich das Hirn: »Wir müssen das noch viel präziser untersuchen«, sagt er, »wenn wir ihrer Erkrankung einen Namen geben und feststellen können, dass Lonyl das Virus ist, dann sind wir dem Ziel schon sehr viel näher, dieses … dieses Element, dieses Geschwür loszuwerden!« Applaus. Persson klatscht noch drei, vier Mal, als die anderen schon aufgehört haben. Der Kollegin einen Besuch am Krankenlager abzustatten, schlägt keiner vor.
2) Lonyls Geschmiere . Das Kollegium macht eine Inspektionsrunde durchs Schulgebäude, die mit einem Appel Perssons endet, solch »chaosstiftendes und terroristisches Pack« von der Schule zu entfernen. Er redet sich derart in Rage, dass die Bisswunde am
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