The Cocka Hola Company: Roman
Rechenbuch; 2. mit der Fernbedienung; 3. mit der Hand; 4. mit einer Eineinhalbliter-Plastikflasche; 5. einem Plastikrohr und 6. einem Hockeyschläger geschlagen hat, ans Bein, auf den Kopf, an den Unterarm, zwischen die Beine (Simpel: »JETZT IST HIER ABER SCHLUSS!!!«) und zweimal auf den Rücken. Simpel hätte gern einen Präventivplan für den Abend besprochen, aber damit ist er vielleicht etwas spät dran. Jetzt sitzt Lonyl in der Ecke vorm Videoregal und malt kleine Striche und Kreuze auf den Boden. Simpel sitzt im Wildledersofa und schaut abwechselnd auf die kleinen Löckchen in Lonyls Nacken und auf Motha, die in der Küche am Tisch sitzt und Zeitung liest. Er macht den Fernseher an und zappt durch die Kanäle. Der Bildschirm ist ein bisschen verschleiert, die Filzerspuren von Samstag sind noch nicht ganz runter. In dreißig Sekunden zappt Simpel durch sechzig Kanäle. Dann macht er den Apparat wieder aus und geht in die Küche. Motha neigt sich zeitunglesend beiseite, um ihn durchzulassen. Simpel schaut in den Kühlschrank, findet aber nichts Ansprechendes. Er setzt sich an den Küchentisch, Motha gegenüber, schaut sie an, wartet auf eine Regung. Jegliche Regung bleibt aus. Motha genügt ihre Zeitung. Sie ist hochzufrieden, dass Mann und Sohn für eine Weile mit ihrem Zirkus aufgehört haben. Simpel sitzt da, betrachtet seine Fingernägel und das Resopalfurnier des Tischs und einen angebrannten Topflappen und anderes banales Zeug in seinem Blickfeld. Er hört, dass Lonyl im Wohnzimmer aufhört zu kritzeln und den Fernseher anmacht. Simpel popelt an der Tischkante herum. Er lehnt sich über den Tisch und fischt eine Zigarette aus Mothas Päckchen. Dann pustet er eine Zigarettenlänge lang Rauch an die Küchenwände. Motha liest irritierend langsam und genau. Am liebsten würde Simpel rübergreifen und für sie umblättern. »Das ist doch scheißunmöglich, derart scheißlange und derart scheißgenau diese verfickte Zeitung zu lesen!«, denkt Simpel. Er hat da eine Theorie, man mag sich ihr anschließen oder nicht, dass in der Zeitung jeden Tag haargenau dasselbe stehe und man daher allerhöchstens fünf Minuten für die Lektüre brauche, egal, welche Zeitung man liest. Er braucht so zwei, drei Minuten, manchmal weniger, aber nie länger als drei. Im ANKER ist er schon viermal so heftig aufgestanden, dass die Kaffeejauche überschwappte, und hat einem Rentner, über den er sich schon länger ärgerte, wutschnaubend die Zeitung weggenommen; zweimal hat er das Blatt in kleine Fetzen zerrissen, auf den Boden geschleudert und den Rentner angeschrien: »WIE KANN MAN SICH VERFLUCHT NOCHMAL SO LANGE IN DIESE SCHEISSE VERTIEFEN, DAS GEHT DOCH NICHT!« Er unterdrückt den Gedanken, dass Motha in dieser Hinsicht vielleicht noch schlimmer ist als die Rentnersäcke. Nein, er will an diesem Nachmittag lieber nicht mehr Streit vom Zaun brechen als unbedingt nötig.
Lonyl kommt in die Küche getapst. Er hat sich das T-Shirt ausgezogen und ein paar Kreuze auf den kleinen braunen Brustkorb gemalt. Wie jedes Mal, wenn er Lonyl (oder Motha) nackt sieht, ist Simpel beeindruckt. »Nicht zu glauben, Mothas Negergene sind derart stark, dass sie meine Kartoffelsackanatomie restlos k.o. geschlagen haben. Dazu gehört schon was, ein paar Jahrhunderte weiße Degeneration einfach so zu verdrängen«, denkt er und hätte Lonyl beinahe einen väterlichen Klaps auf die Schulter gegeben, lässt es aber aus Angst vor Repressalien. Er sieht zu, wie der Junge im Kühlschrank wühlt.
– Wenn du Carpaccio willst, dann muss ich dir welches machen, das weißt du, Lonyl, ja, sagt Simpel.
– Ja, sagt Lonyl.
– Wie ja? Ja, du willst welches, oder ja, du weißt, dass ich es dir machen muss?
Lonyl sagt keinen Ton mehr. Simpel flucht, dass Casco noch nicht da ist.
– Cool, Ssiimpel. Du weiß ja niikmal, wie spät es iiss.
– Ich weiß genau, dass es jetzt vier ist. Das hab ich im Gefühl. Verdammte Scheiße, wenn Casco nicht kommt, reiß ich ihn in Stücke.
Simpel nimmt noch eine von Mothas Zigaretten und grabbelt eine Weile daran herum, bevor er sie anmacht. Motha ist immer noch mit derselben Zeitungsseite zugange. Simpel erwägt – nicht zum ersten Mal – den Gedanken, ob sie vielleicht ein bisschen unterbelichtet ist. Die Male, wo er sie wütend »Sag mal, bist du dumm im Kopp oder was?« gefragt hat, hat sie fraulich/mütterlich /überheblich lächelnd den Kopf geschüttelt: »Du weiß niik, was du da sags, mein kleine’
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