The Curse - Im Schatten der Schwestern (German Edition)
als er sich auch noch seines Hemdes entledigte.
In ganzer Pracht und ohne jede Scham stand er da, schritt ins Wasser, als könne ihm die Kälte nichts anhaben, und tauchte mit einem eleganten Sprung unter.
Zum Glück war es dunkel, denn, obwohl ich eigentlich meinen Dolch wieder unter meinem Kleid verbergen wollte, saß ich da und bewunderte den Mann vor mir. Das Mondlicht verwandelte die Wassertropfen auf seiner Haut in winzige Diamanten, und ich entdeckte Muskeln an seinem Körper, die ihm 2010 abhandengekommen waren.
Sein Körper sah härter und sehniger aus. Gestählt von den Lebensbedingungen, vermutete ich. Schließlich besann ich mich auf meine Aufgabe und versuchte, mich auf den Gürtel an meinem Schenkel zu konzentrieren. Immer wieder glitt mein Blick über das Wasser hin zu Payton, dessen Anblick mich nicht loslassen wollte.
Ich hörte ihn schon ans Ufer waten, als ich noch immer mit dem Dolch hantierte. Gerade zog ich mir den Rock hinunter, als er bereits vor mir stand. Das Plaid war um die Hüften perfekt in Falten gelegt, sein Hemd stand aber offen. Am liebsten hätte ich ihm die Wassertropfen von der Brust gewischt, so verlockend war der Anblick.
Er musterte mich von oben bis unten, und ein schiefes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Sieh an, was ein wenig Wasser alles ausmacht.“
Dann drehte er sich um und ging davon. Stirnrunzelnd blickte ich ihm nach, als er auf dem schmalen Pfad in den Wald verschwand.
Kapitel 15
Friedhof bei Auld a´chruinn, Oktober 2010
Es hatte geregnet, und der Boden unter Seans Füßen war matschig, als er den Weg in Richtung Friedhof ging. Seit Tagen konnte er nichts weiter tun, als Payton dabei Gesellschaft zu leisten, hier im Regen zu sitzen. Sein Bruder weigerte sich weiterhin hartnäckig, seine Wache am Stein der fünf Schwestern aufzugeben. Denn selbst, nachdem sie den Gedenkstein gefunden hatten, dem sie die Schuld an Sams Verschwinden gaben, fanden sie keinen Weg, ihr zu folgen.
Ob die Legende Sam getötet oder sie nur aus ihrer Zeit gerissen hatte, wussten sie nicht. Aber Payton war nicht davon zu überzeugen, sich selbst zu schonen, indem er im nahegelegenen Ort auf Neuigkeiten wartete. Nein, sein sturköpfiger Bruder wollte unbedingt seine letzten Kräfte nutzen, sich den Launen der Natur auszusetzen und bis zum letzten Atemzug ausharren. Sean wusste, dass es Payton hierbei auch um Selbstgeißelung ging. Er wollte sich dafür bestrafen, Sam in diese Situation gebracht zu haben.
Sean trat durch die Friedhofspforte. Sein Blick fiel zuerst auf den mächtigen Obelisken, der sie so abgelenkt hatte, dass sie Sams Verschwinden erst bemerkt hatten, als es bereits zu spät gewesen war. Dann wandte er sich der Friedhofsmauer zu – und stutzte. Mit hochgezogenen Augenbrauen trat er näher und sah Payton fragend an.
„Geht es dir gut? Hast du jetzt komplett den Verstand verloren?“, fragte er.
Payton sah aus wie ein Häuflein Elend. Nass, schmutzig, und seine Haut war blass und eingefallen. Trotzdem lachte er, wobei aber Tränen über seine Wange liefen.
„Payton?“, hakte Sean nach, als dieser ihn weiter ignorierte und sich vor Lachen den Bauch hielt.
Er setzte sich ungeachtet des nassen Untergrundes seinem Bruder gegenüber und wartete auf eine Erklärung. Ein letztes Mal holte Payton Luft, und es schien ihn Mühe zu kosten, sich auf Sean zu konzentrieren. Mit einem Leuchten in den Augen sah er Sean an und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
„Oh ja, eindeutig irre!“, bestätigte sich Sean selbst seinen schlimmsten Verdacht.
„Pog mo thon! Du hast doch keine Ahnung“, verteidigte sich Payton und trat mit dem Fuß nach Sean.
„Ja, weil du deinen Mund nicht aufbekommst! Ich frag doch schon, was los ist – sag endlich, was du so erheiternd findest!“
Payton lächelte.
„Ich habe sie gefunden, Sean.“ Er tippte sich auf die Stirn. „Hier drinnen. Sie hat es geschafft! Sie lebt!“
Sean sah ihn mit großen Augen an und hob verständnislos die Arme.
„Wovon zur Hölle sprichst du? Was hast du gefunden?“
„Na – Samantha! Ich erinnere mich an sie. Es ist nur ein kurzer Erinnerungsfetzen, aber der ist so leuchtend, so greifbar, als sei es gestern gewesen! Ich sage dir: Sam ist durch die Zeit gereist! Und sie hat mich gefunden!“
Sean runzelte die Stirn. Seine Zweifel an Paytons Geschichte waren nicht zu übersehen.
„Was für eine Erinnerung? Was meinst du denn? Ich verstehe kein Wort.“
„Ich weiß es auch nicht, Sean!
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