The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
Assistentin«, sagte sie leise. Dann änderte sich ihr Tonfall. »Mach dich nützlich, Junge«, sagte Sephie, während sie den Tee einschenkte. »Reich uns den Tee. Und dann solltest du besser gehen.«
Gaia zitterte wie Espenlaub. Sephie musste sie erkannt haben, aber wieso schlug sie keinen Alarm. Auf einmal fiel ihr wieder ein, dass Cotty über Sephie gesagt hatte, sie wähle immer den Weg des geringsten Widerstands. Aber was wäre nun leichter für sie – Alarm schlagen oder einfach abwarten, was geschehen würde? Gaia wusste es nicht. Instinktiv griff sie nach den kleinen weißen Würfeln in ihrer Tasche und fragte sich, wie schnell sie sich in heißem Wasser wohl auflösen würden und, noch wichtiger, wie schnell sie wirkten.
»Du hast gehört, was sie gesagt hat«, fuhr Schwester Khol Gaia an. »Steh hier nicht rum wie ein Idiot. Bist du taub?«
»Wahrscheinlich will er ein paar Sonnenblumenkerne«, kicherte Julia. »Ich jedenfalls würde welche nehmen.«
Die Tür zum Bad öffnete sich. »Warte, Bonnie«, sagte Sephie und stand von ihrem Platz am Feuer auf. »Ich helfe dir«, und in diesem Moment wusste Gaia, dass sie keine Zeit mehr verlieren durfte. Sie trat ans Feuer, nahm die erste Tasse und ließ verstohlen einen weißen Würfel hineinfallen. Sie reichte diese Tasse Julia, dann wiederholte sie das Manöver für Schwester Khol. Als ihre Mutter, gestützt von Sephie, wieder den Raum betrat, stellte Gaia sich mit dem Rücken zur Kamera und ließ den dritten Würfel in die letzte Teetasse fallen.
Gaias Mutter sah noch erschöpfter aus als zuvor, als sie sich schwer auf die Pritsche sinken ließ. Gaia trat zögernd vor, Sephies Tasse in den Händen. Als ihre Mutter danach griff, erstarrte Gaia und hielt die Tasse zurück. Fragend sah ihre Mutter auf.
»Nein, Bonnie«, sagte Sephie eilig und nahm die Tasse aus Gaias verkrampften, zitternden Fingern. »Das Letzte, was du jetzt gebrauchen kannst, ist ein harntreibendes Mittel.«
Gaia lachte fast vor Erleichterung.
Ihre Mutter betrachtete Gaia mit verblüfftem Gesicht. »Haben wir uns schon mal gesehen?«, fragte sie ihre Tochter.
Gaia schüttelte stumm den Kopf.
Sephie lachte. »Mir geht’s genauso: Man glaubt, alle Kinder in der Enklave zu kennen, einfach, weil man sie in der Stunde ihrer Geburt gesehen hat«, sagte sie. Dann wandte sie sich Gaia zu. »Du hattest deine Audienz bei der schwangeren Berühmtheit. Los jetzt, ich habe dir gesagt, dass du gehen sollst.«
Da begriff Gaia: Sephie gestattete ihr nur einen harmlosen Blick auf ihre Mutter, nicht mehr. Erschrocken sah sie hinüber zu Schwester Khol, doch diese nippte ruhig an ihrem Tee, als ob sie sich nicht im Mindesten für Gaia interessierte.
Gaia überlegte fieberhaft. »Wenn sie keinen Tee trinken kann, sollte ich ihr dann nicht etwas Wasser bringen?«, fragte sie dann.
Sephie sah auf. Ihre Augen verengten sich. Dann nickte sie, als hätte sie gerade eine Entscheidung getroffen. »Das ist wahre Höflichkeit«, sagte sie und wies auf eine Tasse im Regal. »Bring ihr welches.«
Während Gaia mit der Tasse ins Bad ging, um etwas Leitungswasser zu holen, überlegte sie, wie sie ihren Aufbruch noch weiter hinauszögern könnte. Die Frauen tauschten Neuigkeiten von draußen aus. Julias Stimme war leicht und von gelegentlichem Lachen durchsetzt. Schwester Khols Stimme klang tiefer und bestimmter. Wasser sprudelte in die kleine Metalltasse. Wenn sie einen Weg finden konnte, ihre Mutter herauszubringen, während die Frauen sich weiterhin ganz natürlich verhielten, könnte sie vielleicht etwas Zeit gewinnen, bevor irgendjemand vor den Überwachungsbildschirmen bemerkte, dass etwas nicht stimmte.
»Gibst du mir bitte die Decke, Joyce?«, fragte Sephie Schwester Khol. »Sie ist erschöpft. Was sie meiner Meinung nach wirklich braucht, ist übrigens Eisen. Von etwas Sonnenschein ganz zu schweigen. Bettruhe heißt nicht, dass sie jede Sekunde hier drinnen herumliegen muss.«
»Möchtest du das dem Protektor sagen, oder soll ich es tun?«, fragte Schwester Khol.
Gaia kam mit der Tasse Wasser in den Raum.
»Wenn er hier hoch käme, würde ich es ihm selbst sagen«, knurrte Sephie. »Da er das aber nicht tut, musst du es ihm wohl sagen.« Sie legte Gaias Mutter die Decke um die Schultern, die sie mit blasser Hand eng um ihre Brust zog.
»Ich bin auch ein bisschen müde«, sagte Julia, gähnte und streckte sich. »Was gäbe ich nicht dafür, ein wenig auf dem Markt spazieren zu gehen.«
»Warum
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