The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
hältst du nicht noch ein Nickerchen?«, fragte Schwester Khol trocken.
Julia schien den Sarkasmus nicht zu bemerken. »Nein, nein«, sagte sie und legte den Kopf auf ihr weißes Kissen. »Ich will doch Sephie helfen.« Sie legte ihre Füße aufs Bett, und ihre Züge entspannten sich.
»Was für eine Schlafmütze«, murmelte Schwester Khol. Einen Moment später kippte auch ihr Kopf zurück und ruhte an der Lehne ihres Stuhls. Gaia beobachtete mit grimmiger Faszination, wie ihr die Augen zufielen. Ihre Tasse neigte sich und vergoss Flüssigkeit in ihren Schoß, aber Schwester Khol schlief so fest, dass sie es nicht bemerkte.
»Du Schlange«, zischte Sephie leise. »So dankst du mir, dass ich deine Tarnung gewahrt und dich deinen kleinen Besuch habe machen lassen.«
Gaia sah zu, wie Sephie zu ihrem Schaukelstuhl stolperte und die Armlehnen umklammerte. Schwer ließ sie sich niedersinken. Müde hob sie ihre Augenlider.
»Dann nimm sie eben mit«, sagte Sephie. »Wenigstens können sie mir nicht die Schuld geben.«
Dann war sie eingeschlafen.
23
Maya
»Was ist los?«, fragte Gaias Mutter. Eine neue Wachsamkeit funkelte in ihren Augen.
Mit fliegenden Bewegungen legte Gaia die Extradecke und ein Kissen zu einem Hügel auf dem Bett zusammen und warf eine andere Decke darüber, damit es wie eine schlafende Gestalt aussah.
»Schnell, Mutter«, sagte Gaia, griff fest ihren Arm und zog sie auf die Füße. »Wir haben überhaupt keine Zeit.«
»Gaia?«, die Stimme ihrer Mutter war schrill vor Verwunderung.
»Bitte«, drängte Gaia im Flüsterton, legte ihr einen Arm um die Hüfte und trug sie praktisch zur Tür. »Wir müssen hier raus. Schnell, bevor sie es merken.«
»Oh, Gaia!«, sagte ihre Mutter atemlos. »Ich kann nicht glauben, dass du es bist!«
Gaia riss am Türgriff, zog ihre Mutter hinaus auf den Treppenabsatz und schloss die Tür. Vom Bett zur Treppe hatten sie nicht länger als sechs Sekunden gebraucht, und falls derjenige, der die Kamera bewachte, in diesen Sekunden vielleicht nicht hingesehen hatte, würde er auch nicht bemerken, dass mit den Leuten im Turmzimmer etwas nicht stimmte – nicht, bis er nicht genauer hinsah und ihm auffiel, dass die Frauen sich nicht unterhielten, sondern schliefen.
»Oh, Mom«, Gaia umarmte sie so fest, wie sie es wagte. Sie atmete den Geruch der Erschöpfung und Trostlosigkeit ein, der der Haut ihrer Mutter anhaftete, während der knochige, angeschwollene Körper unter dem dünnen Stoff ihres blauen Kleids zitterte.
»Ich kann nicht glauben, dass du es bist«, sagte sie noch einmal. Ihre dünnen Arme schlangen sich zitternd um ihre Tochter. Dann starrte sie ihr ins Gesicht und blickte erstaunt drein. Sie berührte Gaias Wange. »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
»Sachte. Es ist eine Maske. Schnell, wir müssen jetzt gehen.« Sie zog den Körper ihrer Mutter eng an sich und hielt sie fest um die Hüfte, als sie die ersten Stufen nahmen.
»Ich bin so schwach«, flüsterte ihre Mutter, »tut mir leid.«
»Das ist schon okay«, sagte Gaia. Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft. Sie konnte ihre Mutter nicht durch die Eingangstür nach draußen bringen, die Wachen würden sofort Verdacht schöpfen. Aber sie musste irgendwie zu Leon und Mace Jackson kommen. Ihre Mutter stolperte und stöhnte, als Gaia sie abfing.
»Alles in Ordnung?«, fragte Gaia.
»Ich hatte eine leichte Vorblutung«, sagte ihre Mutter. »Man hat mir Bettruhe verordnet. Ich habe mich seit, ich weiß nicht wie lange, nicht mehr bewegt.«
»Wie ist das geschehen?«, fragte Gaia und half ihr eine weitere Stufe hinab.
Ihre Mutter lachte schwach. »Auf die übliche Weise. Eine Ewigkeit ist das her.«
»Aber, ich meine, es ist von Dad, oder?«, fragte Gaia. Sie musste es fragen. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du schwanger bist?«
Als sie sich einem rechteckigen Fenster näherten, griff ihre Mutter nach dem Sims, und Sonnenlicht traf auf ihre blasse Hand und verlieh ihr ein durchsichtiges Blau vor dem Hintergrund des dunkleren Steins. Gaia konnte nicht glauben, wie klein und zerbrechlich ihre Mutter aussah.
»Ich hatte so viele Fehlgeburten«, sagte ihre Mutter mit dünner Stimme. »Ich habe selbst kaum noch darauf zu hoffen gewagt. Wir wollten es dir aber bald sagen. Dein Vater war so aufgeregt. Es kommt mir vor, als ob das in einem anderen Leben passiert wäre. Und dann, als wir verhaftet wurden, rettete mir das Baby das Leben. Dein Vater …«
Türklappen war von unten zu hören. Gaia
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