The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
»Wir haben euch immer treu gedient. Nie hätte ich einen Fuß in die Enklave gesetzt oder getan, was ich für dieses Baby getan habe, wenn ihr uns einfach in Ruhe gelassen hättet. Warum könnt ihr uns nicht einfach gehen lassen?«
Captain Grey schüttelte den Kopf auf eine sture Art und Weise, die sie in den Wahnsinn trieb. »Das können wir nicht. Wir brauchen Antworten. Das Problem rührt von der Inzucht her, sowohl innerhalb der ursprünglichen Siedlerfamilien als auch der vorgebrachten Bürger«,sagte er. »Ohne die Aufzeichnungen deiner Mutter wissen wir nicht, ob die Babys von draußen nicht vielleicht miteinander verwandt sind. Sie werden erwachsen, und Cousins und sogar Geschwister haben schon geheiratet, wie du heute erlebt hast. Vorgebrachte Bürger müssen einen Gentest bestehen, bevor sie sich verloben dürfen. Normalerweise ist das nur eine Formalität, die sicherstellen soll, dass Verlobte keine engen Blutsverwandten sind, doch in manchen Fällen wird die Hochzeit verboten.« Er blickte finster drein und schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht sehr gut erklären. Es geht um mehr als nur die Heirat zwischen Vorgebrachten. Wir müssen den genetischen Pool unserer Bevölkerung auffrischen, oder wir werden über kurz oder lang alle unfruchtbar sein oder Bluter oder wer weiß was für genetische Krüppel.«
Gaia war erst erstaunt, dann wütend. »Was geht es mich an? Ihr habt auf dieser Seite der Mauer jeden erdenklichen Vorteil gehabt, und doch habt ihr nichts für uns dort draußen getan. Weshalb sollten wir jetzt versuchen, euch zu retten?«
»Du verstehst immer noch nicht«, sagte er. »Ihr seid diejenigen, die im Vorteil sind. Seid dankbar, dass wir euch so lange in Ruhe gelassen haben. Eure Leute sind die wahren Überlebenden des Klimawandels, und das hat euch abgehärtet. Selbst dich, Gaia. Wie viele Babys überleben schon eine Verbrennung wie die in deinem Gesicht?«
Sie senkte den Blick. »Diese Verbrennung war nicht lebensbedrohlich. Sie hat mich bloß hässlich gemacht und unerwünscht in den Augen der Enklave.«
Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich meine nicht nur die Verbrennungen selbst, sondern auch die Schmerzen, die Entzündungen.«
Gaias Atem ging stoßweise, als ob er sie ins Gesicht geschlagen hätte. Sie hasste es, vernarbt zu sein, und keine Logik der Welt würde sie davon überzeugen, dass an den Verbrennungen, die sie erlitten hatte, irgendetwas Gutes war. »Ich habe mir das nicht ausgesucht!«, rief sie mit brechender Stimme und biss sich hart auf die Lippen, damit sie nicht anfing zu weinen.
Captain Grey schwieg. Dann kam er wieder um den Tisch herum, trat ganz nah an sie heran, aber sie weigerte sich, ihn anzusehen.
»Gaia«, sagte er leise.
Seine Sanftheit verwirrte sie nur noch mehr. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Ecke des grauen Raums, und als sie fühlte, wie seine Hand sich vorsichtig auf ihre Schultern legte, zuckte sie zurück.
»Ihr versteht doch gar nichts«, sagte sie mit beißender Stimme. »Die Kinder außerhalb der Mauer leiden auch. Sie bluten auch. Sie kriegen Fieber, das tagelang tobt und sie dann tötet. Und ihre Mütter trauern, wenn sie sterben. Was nutzen all eure Errungenschaften …«, sie wies mit dem Kopf auf die Lampe, den Computer, »wenn ihr uns leiden lasst? Wenn ihr eine Frau tötet, die im neunten Monat schwanger ist? Was für eine Art von Gesellschaft ist das?«
Sein Blick, der für einen Moment so lebendig und warm gewesen war, richtete sich in die Ferne. »Diese beiden wussten ganz genau, dass sie von draußen vorgebracht worden waren. Sie wussten, dass sie den Gentest bestehen mussten, um sich verloben zu dürfen. Unbeschwert genossen sie jahrelang unsere Vorzüge, doch als der Test ergab, dass sie möglicherweise Geschwister waren, entschieden sie sich in selbstsüchtiger Weise, trotzdem zu heiraten und ein Kind zu bekommen.« Sein Kiefer mahlte grimmig. »Wir hätten wertvolle Ressourcen auf dieses Kind verschwendet, und dann wäre es vor seinem zehnten Geburtstag gestorben, lange bevor es ein eigenes, gesundes Kind hätte zeugen können. Selbst seine Eltern wussten das.«
»Ihr verteidigt die Ermordung zweier Menschen damit, dass ihr Kind vielleicht eine Verschwendung von Ressourcen bedeutet hätte?«, fragte sie. »Ist das wirklich Euer Ernst? Nun denn. Das Baby hat überlebt. Und jetzt?«
Sie konnte einen neuen Grad der Blässe in seinem Gesicht ausmachen. Er wich ihrem Blick aus.
Zorn schoss in ihr hoch,
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