The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
legte seinem Vater die Hand auf die Schulter. Gaia konnte es kaum ertragen. Immer mehr Menschen kamen herbei, um die Neuigkeiten zu hören. Sie hätte bedrückte Gesichter erwartet, doch seltsamerweise – vielleicht, weil die Sonne sich zum ersten Mal seit Wochen wieder zeigte und der Tag wolkenlos und herausragend schön zu werden versprach – grüßten die Leute einander mit freundlichem Lächeln. Ein Kind spielte zu Füßen seines Vaters im Schmutz.
Da näherten sich einige Reiter, dahinter mehrere Männer zu Fuß. Inmitten der Reiter konnte Gaia Peter erkennen. Sein Pferd wurde geführt, und man hatte ihm die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Sie fühlte sich schmerzlich an letztes Mal erinnert, als sie ihn hatte herbeireiten sehen, damals hatte er Gefangene gebracht.
Heute war er der Gefangene.
Die Leute am Dorfplatz drängten näher und bildeten eine Gasse für den Zug. Die Matrarch trat auf die Veranda und tastete sich mit ihrem Stock voran, bis sie neben Gaia stehen blieb. Gut , dachte Gaia. Sie soll wenigstens dabei sein.
Da kam Dinah mit einem Wagen gefahren. Neben ihr saß Josephine mit ihrem Baby, und als der Wagen wendete, entdeckte Gaia hinter ihr Leon und Maya. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich nach dem Beistand ihrer Freunde gesehnt hatte.
»Höre ich da Fräulein Dinahs Wagen?«, fragte die Matrarch.
»Ja«, sagte Gaia. »Sie hat Leon, Fräulein Josephine und die Babys mitgebracht.«
»Das sieht ihr ähnlich.«
Der Zug mit dem Gefangenen erreichte das Mutterhaus, und die Reiter sprangen vor ihnen in den Staub. Peter blickte zu seinem Vater, der die Hand zu einem stillen Gruß hob. Dann schwang er sich mit Hilfe einer der Wachen vom Pferd, die Hände noch immer gefesselt. Mehrere Knöpfe an seinem Hemd standen offen, und seine Lippe war von dem gestrigen Schlag noch geschwollen.
»Er sieht schlecht aus«, sagte eine leise Stimme links von Gaia. Peony und die anderen Mädchen waren ihr auf die Veranda gefolgt. »Es tut mir so leid.«
Ich halte das nicht länger aus , dachte Gaia und eilte die Stufen hinab. Die Wachen führten Peter näher heran. Vier Pranger standen neben dem Mutterhaus. Jeder bestand aus zwei schweren, verwitterten Holzbalken, die mit einem Scharnier verbunden waren und drei Löcher hatten: das mittlere für den Kopf, die beiden seitlich davon für die Handgelenke. So konnte Peter entweder vornübergebeugt stehen oder sich hinknien. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass der Pranger selbst wahrscheinlich noch am wenigsten schlimm war. Nach kurzer Zeit in dieser Haltung aber musste sich der ganze Körper verkrampfen, und man konnte nicht einen Moment lang entspannen. In der Mittagssonne quälten einen Durst und Hunger. Gegen Abend kämen noch die Moskitos hinzu. Gaia hoffte nur, dass die Folter Peter bis dahin abgestumpft hatte.
Man führte ihn zum nächsten Pranger, mit Blick zum Dorfplatz, und band ihn los. Darauf lockerte Peter Arme und Schulter, als ob seine Muskeln jetzt schon ganz steif wären. Sein Gesicht war ausdruckslos. Die Menge verstummte. Dann knöpfte er sorgfältig sein Hemd zu und richtete den Kragen.
Dieser kleine Versuch, seine Würde zurückzugewinnen, traf sie tiefer als alles andere – und da fällte sie ihre Entscheidung.
Sie ging zum Wagen, von wo Dinah und Josephine mit ernsten Gesichtern das Geschehen verfolgten. Neben ihnen stand Leon, Maya auf dem Arm. Still legte Gaia ihre Tasche und ihren Umhang in den Wagen und vergewisserte sich, dass sie ihre Uhr um den Hals trug.
»Leon«, sagte sie. »Ich brauche dich.«
Seine blauen Augen trafen ihre, und einen langen Moment schauten sie einander an. Dann nickte er, bereit, zu tun, was immer sie von ihm verlangte. Er reichte Maya an Dinah weiter, um die Hände frei zu haben, krempelte sich die Ärmel hoch und folgte ihr.
Währenddessen öffneten die Wachen Peters Pranger. Gaia konnte kein Wort zu ihm sagen – sie zitterte jetzt schon vor Angst. Mit quietschendem Scharnier schloss sich der Balken um Peters Hals und Hände; dann hörte sie, wie mit einem Klicken ein Stift in den Verschluss geschoben wurde. Ein Schloss war nicht nötig: Niemand würde es wagen, den Pranger zu öffnen, ehe Peter seine Strafe nicht vollständig verbüßt hatte.
Gaia erreichte den zweiten Pranger, gefolgt von Leon, doch ihr zitterten zu sehr die Hände, um ihn zu öffnen.
»Hilf mir rein«, sagte sie.
»Das kannst du nicht machen«, flüsterte er.
»Ich muss.«
Weder brachte sie es über sich,
Weitere Kostenlose Bücher