The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
bekam schlimme Kopfschmerzen, bei denen helle Blitze sie durchzuckten. Das Licht und die Geräusche um sie herum nahm sie verzerrt wahr, ein winziger Fleck auf ihrem Rock wurde so groß wie ein riesiges Auge.
»Da wären wir«, sagte er, als sie schließlich am Mutterhaus anlangten. »Warte, ich helfe dir runter.«
»Bitte mach, dass es aufhört«, flüsterte sie.
»Bring der Matrarch eine Botschaft«, hörte sie ihn sagen. »Die junge Dame hat die Schwellenkrankheit. Wo steckt Norris?«
Sie spürte eine sanfte Hand an ihrem Arm und versuchte, sich zu konzentrieren. Will schaute zu ihr auf, die braunen Augen voller Sorge. Doch sein Gesicht verschwamm, und auf einmal war es Leon, der vor ihr stand. Freude ergriff von ihr Besitz, doch ehe sie etwas sagen konnte, verwandelte er sich wieder in Will. Verzweiflung übermannte sie. Dann schwankte erst der Wagen, dann der ganze Boden.
Schwarze Kreaturen kamen gekrochen, an ihren Füßen zu nagen.
»Nehmt sie weg!«, schrie Gaia und kauerte sich ängstlich zusammen.
Sie trat nach den schwarzen Wesen, doch sie bissen sich mit ihren spitzzähnigen, kreischenden Mäulern an ihr fest. Sie versuchte, zu entkommen. Starke Arme packten sie, und sie kämpfte wie wild und zog die Zehen ein. Halt den Atem an , dachte sie. Dann hört es auf! Sie holte tief Luft. Eine tintenschwarze Welle türmte sich über ihr auf, löschte die Sterne aus und brach dann über Gaia herein.
6 Gift
Von irgendwo drang der Klang einer Glocke an ihr Ohr: drei volle, hallende Schläge. Gaia schlug die Augen auf und blickte vorsichtig um sich. Sie rechnete mit neuerlicher Übelkeit oder Schmerzen, doch alles war, wie es sein sollte, und der morgendliche Sonnenschein blieb, wo er hingehörte, fiel auf die Wände und das goldene Holz des Bodens, wohin das vergitterte Fenster sein Schattenmuster warf. Sie hielt eine Hand in die Sonne und schloss und öffnete sie langsam. Die Bräune aus der Zeit im Ödland wich allmählich ihrem natürlichen Teint.
»Bist du wieder bei uns?«, fragte eine Frau.
Gaia versuchte zu antworten, doch ihre Kehle war völlig ausgetrocknet. Die Frau erhob sich aus einem Schaukelstuhl und goss ihr ein Glas Wasser ein. Gaia richtete sich langsam auf, nahm das Glas und nippte.
»Wie geht es Maya?«, fragte sie schließlich.
»Ihr geht es gut. Bei ihr fing es erst einen Tag später an. Sie zitterte ein paar Stunden und hat eine Weile geschrien, aber sie hat viel getrunken und wird immer kräftiger. Es hat bei ihr auch nicht so lange gedauert. Mittlerweile ist sie von Lady Eva in ihr künftiges Zuhause umgezogen. Wie geht es dir?«
Gaia antwortete nicht sofort. »Ich bin noch am Leben.«
Die Frau grinste und entblößte dabei eine Zahnlücke, die ihr einen eigentümlichen Charme verlieh. Sie war groß, vielleicht Ende dreißig und trug eine Brille. Ihr dunkles Haar hatte sie zu einem dicken Zopf gebunden, der ihr über die Schulter fiel. »Du wirst dich nicht an mich erinnern«, sagte sie. »Ich bin Lady Roxanne, die Lehrerin.«
Gaia studierte ihr Gesicht. »Du hast Maya mitgenommen, zusammen mit Lady Eva.«
»Sonst erinnerst du dich an nichts?« Lady Roxanne lachte. Dann setzte sie sich wieder hin und griff nach ihrem Nähkasten. »Hätte ich mir denken können. Vier Tage lang hast du nur fantasiert. Wir waren uns ehrlich gesagt nicht sicher, ob du je wieder auf die Beine kommst.«
Gaia war sich da selbst noch nicht so sicher. Sie fühlte sich, als hätte irgendeine Droge ihr Bewusstsein und ihr komplettes Nervensystem gleich mit ausgehebelt, einfach alles, was sie funktionieren ließ. Sie wollte sich nie wieder so fühlen.
»Hast du irgendeine Ahnung, was diese Krankheit auslöst?«
»Ich halte es für einen Umwelteinfluss«, sagte Lady Roxanne. »Irgendwas im Essen oder im Wasser, an das man sich erst gewöhnen muss – vielleicht sogar in der Luft. Mehr kann ich auch nicht sagen. Die Hauptsache ist, dass du’s hinter dir hast.«
»Außer natürlich, ich will hier weg.«
»Richtig. Dann bringt es dich um.«
Es ergab einfach keinen Sinn. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Ich brauche ein Bad.
»Junge Gaia«, sagte Roxanne sanft und rückte mit ihrem Schaukelstuhl ein bisschen näher ans Bett. »Du hast viel geredet, während du halluziniert hast. Du hast ein paar schreckliche Dinge erlebt, nicht wahr?«
»Was habe ich denn gesagt?«
»Zum Beispiel, dass dein Vater erschossen wurde und deine Mutter verblutet ist. Das stimmt doch hoffentlich nicht, oder?«
Gaia
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