The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
über den düsteren Rand der Welt, und die Oberfläche des Sumpfs wurde in Streifen glitzernden Wassers gekleidet.
Am oberen Rand der Klippe hielt Gaia kurz an, um sich zu orientieren. Sie hatte gehört, dass die Hütte des Siegers sich an einer Wiese befinden sollte. Am Wegrand stand wie ein stummer Wächter, der den Eingang zu einer anderen Welt markierte, ein Holzblock mit einer vergessenen Axt. Sie wandte sich nach rechts. Nach und nach kam eine Reihe dunkler Hütten in Sicht.
Irgendwo schlug eine Tür, ein plötzlicher Knall in der Stille, und sie folgte dem Laut zu einem schmalen Pfad, der am Rand der Klippe entlangführte. Die Kiefern waren hier älter und hatten dicke, massige Stämme. Die unteren Äste waren mit der Zeit abgebrochen, ihre Stümpfe griffen wie Hände durch den Nebel nach Gaia.
Schließlich teilten sich die Bäume, und Gaia erreichte eine kleine Wiese, auf der kniehoch der Nebel stand. Dahinter hockte eine niedrige, massiv wirkende Hütte waghalsig am Rand der Klippe. Steinerne Stufen führten auf eine breite, überdachte Veranda, die um die ganze Hütte lief. Aus einem Ofenrohr links stieg Rauch auf, dünn und kerzengerade. Der Stein und das verwitterte Holz hatten die gleiche Farbe wie das Grau des frühen Morgens, sodass die Hütte beinahe aus dem Fels zu wachsen schien. Daneben stand eine enorme Eiche, deren obere Äste bis über das Dach reichten. Jedes ihrer Blätter hob sich klar gegen den rosigen Himmel ab.
Neben der Eingangstreppe standen zwei Blumentöpfe, in denen, samtig rot im frühen Licht, Geranien blühten. Ein Wasserkrug, der vom Vordach hing, erinnerte sie an daheim. Daheim. Als sie nach dem Geländer griff und den Fuß auf die Stufen setzte, fuhr ihr ein Stich ins Herz. Sie äugte durch die Fliegengittertür in den schummrigen Eingangsbereich. Er schien leer zu sein, doch ihre Intuition sagte ihr, dass sie richtig war.
Sie klopfte leise an den Holzrahmen und ließ den Blick über die schmiedeeisernen Schnörkel der Innentür schweifen. Dann hörte sie ein Knarren, und einen Augenblick später trat eine dunkle Silhouette aus den Schatten. Leon Vlatir stand auf der anderen Seite des Fliegengitters. Das Geflecht verbarg seine Züge, doch sie spürte, dass sie nicht willkommen war. Wie kann ihn zu sehen noch schlimmer sein, als ihn nicht zu sehen?
Gaia griff nach der Tür. »Hallo.«
»Ich möchte mich jetzt nicht unterhalten«, sagte er.
Sie zögerte, die Hand ausgestreckt. »Geht es dir gut?«
Er schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Es tut mir leid …«, hob sie an.
»Nein«, unterbrach er sie. »Ich will dir jetzt nicht zuhören, und ich will dich hier nicht.«
Er konnte sie doch nicht einfach fortschicken! Nicht nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten. »Ich soll mit dir Maya abholen gehen.«
»Komm später wieder. Oder besser noch, wir treffen uns am Strand.«
»Ich musste dich einfach sehen«, sagte sie. »Nur ganz kurz. Ich möchte …« Ihr versagte die Stimme. »Lass uns reden. Bitte.«
Zögernd öffnete sie die Fliegengittertür. Leon drehte ihr den Rücken zu, ging ein paar Stufen hinab ins Wohnzimmer und durch den Hinterausgang auf die hintere Terrasse, die das Tal überblickte. Sie folgte ihm bis zur Tür, doch wie er da stand, das Gesicht zum Tal, die Hände am Geländer, haftete seiner Art etwas derart Abweisendes, Reserviertes an, dass sie ihm nicht weiter folgen konnte. Doch sie konnte jetzt auch nicht gehen.
Seine beinahe schwarzen, feuchten Haare waren zerstrubbelt, lang und strähnig, ganz anders als der kurze Militärschnitt, den sie von früher kannte. Seine Ärmel waren achtlos hochgekrempelt, und sein braunes Hemd hing ihm aus den selbst genähten Hosen. Er kam ihr ein wenig größer vor, und seine Schultern spannten die Naht seines Hemds. Er machte einen deutlich kräftigeren Eindruck als in der Enklave. Außer damals, als er die Tätowierung an seinem Knöchel untersuchte, hatte sie ihn noch nie ohne Stiefel gesehen. Jetzt schienen seine nackten Füße auf der Holzveranda das einzig Verletzliche an ihm zu sein.
Er stand völlig regungslos, als habe er seinen Körper darauf trainiert, jeder inneren Rastlosigkeit zu trotzen.
Schließlich trat sie zu ihm und stellte sich neben ihn ans Geländer, sodass sie ihn wenigstens im Profil sehen konnte. Er hatte sich rasiert. Doch statt ins Tal zu blicken, hatte er die Augen geschlossen, und seine Finger hielten das hölzerne Geländer gepackt. Darauf lag wie ein Gruß der letzten
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