The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
Spiel, die sein Vater, der Protektor, erfunden haben mochte.
»Jetzt reicht es aber«, sagte Peter entschieden. »Ich bringe dich jetzt zur Hütte des Siegers. Gaia, wieso gehst du nicht zurück zum Mutterhaus?«
Doch ihre Aufmerksamkeit war ganz auf Leon gerichtet. »Natürlich möchte ich meine Schwester sehen. Ich werde dich auch darum bitten, wenn es das ist, was du willst. Darf ich bitte zu ihr?«
Leon betrachtete sie mit tiefer Genugtuung. »Dir ist doch klar, dass sie sich nicht mehr an dich erinnern wird?«
»Hör nicht auf ihn«, riet ihr Peter.
Doch er hatte sie bereits verletzt. Sie war völlig ratlos. »Normalerweise ist er nicht so …«
Da kam Leon so nahe, dass er ihr gesamtes Sichtfeld einnahm. Seine Augen funkelten, seine Stimme war kalt und beherrscht. »Wage ja nicht, mit ihm über mich zu reden, als stünde ich nicht direkt neben dir!«
Sie keuchte und konnte ihre Angst nicht länger verbergen. Die Sekunden zogen sich endlos hin, während sein Blick sich in sie bohrte, dann bildeten seine Lippen im Dunkel seines Barts eine unbarmherzige Linie. Er kniff die Augen zusammen, bewegte sich ein paar Millimeter zurück. Stellte sie auf die Probe. Er zeigte nicht das geringste Mitgefühl, und doch fühlte sie sich unwiderstehlich in ein ungewisses Dunkel gesogen, in dem nur er und sie existierten.
Endlich fand sie ihre Stimme wieder. »Du gibst mir keine Befehle«, sagte sie, es war kaum mehr als ein Flüstern.
Einen Moment huschte eine fast vergessene Regung über sein Gesicht, doch dann gewann seine Verachtung wieder die Oberhand. »Ich gehe jetzt zur Hütte des Siegers«, verkündete Leon. »Ich bin halb verhungert, und ich stinke.« Er wandte sich ab und überquerte das Spielfeld.
Sie bedeckte kurz ihre Augen, versuchte, die Beherrschung wiederzugewinnen, doch alles schien ihr zu entgleiten.
»Ich hätte ihn besiegen sollen«, sagte Peter.
Ihr war zu elend zum Lachen. »Hast du ihn etwa gewinnen lassen?« Sie öffnete die Augen.
»Nein. Natürlich nicht. Doch hätte ich gewusst, dass er dich so behandelt, hätte ich ihn irgendwie besiegt. Ich hätte ihn nie auch nur gewählt .«
Leon hasst mich. Die Erkenntnis war ein ebensolcher Schock, als ob die Sonne sich verdunkelt oder die Schwerkraft auf einmal zugenommen hätte. In der Ferne verließ seine dunkle, einsame Gestalt das Feld und geriet hinter einer rauchenden Fackel außer Sicht.
»Ich wünschte, ich könnte etwas für dich tun«, sagte Peter.
»Würdest du dich bitte um ihn kümmern?«, fragte sie. »Er hat niemanden hier, und mich will er nicht in seiner Nähe.«
Peter dachte kurz nach, dann holte er tief Luft. Sie hob den Kopf und begegnete seinem Blick, und da erst fiel ihr auf, dass er immer noch kein Hemd trug. Dabei stand er kaum einen Meter von ihr entfernt, die Arme in die Seiten gestemmt, stark und gleichzeitig liebevoll. Sie warf noch einen kurzen Blick auf seine schweißnasse Haut, dann wandte sie sich ab, beschämt und verwirrt.
»Natürlich. Wenn du das willst«, sagte er.
Nach dem Spiel der Zweiunddreißig schlugen die Männer immer ein wenig über die Stränge, doch diese Nacht ging es besonders hoch her. Gaia war sich sicher, dass es mit Leon zu tun hatte und wie er die Männer in die Abstimmung mit eingebunden hatte. Es war, als hätte er eine schlummernde, zerstörerische Kraft geweckt. Vom Fenster des Atriums aus konnte Gaia den Schein von Freudenfeuern am Strand erahnen, und sie sah Menschen mit Fackeln auf dem Weg zur Lichtung, wo sie damals mit Peony geredet hatte.
Ein paar Stunden lang wagte sie nicht, nach draußen zu gehen, doch als allmählich die Dämmerung heraufzog und sich Stille über Sylum senkte, konnte Gaia nicht länger an sich halten. Sie musste zu Leon. Sie nahm ihren Umhang vom Haken und zog die alten weißen Stiefel an. Die Morgenluft war überraschend kalt, und sie konnte ihren Atem sehen, als sie die Küche verließ und sich auf den Weg machte.
Als der Vollmond hinter der Klippe verschwand, hing ein eigenartiges aschgraues Licht über der Straße. Gaia schritt schnell aus und passierte eine vertraute Biegung. Rechts vor ihr lag das Heim der Chardos. Das Haus selbst war dunkel, doch hoch oben im Eingang der Scheune warf eine Laterne ein einladendes gelbes Rechteck auf die Einfahrt. Fast war es, als riefe einer der Brüder sie zu sich. Gaia aber hielt nicht an.
Die Straße wurde schmaler und begann zur Klippe hin in Serpentinen anzusteigen. Im Osten kroch das erste Licht des Morgens
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