The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
nicht behaupten, dass ich es nicht manchmal vermissen würde. Die Matrarch hat mir sehr geholfen – sie gab mir diese Stelle hier und meinte, man wisse nie, wofür es sich noch lohnt zu leben. In letzter Zeit, mit dir hier, hab ich oft an ihre Worte denken müssen.«
Gaia war ganz in Mayas Anblick versunken. »Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen, Norris.«
Ohne Una loszulassen, griff er nach einem kleinen Honigglas im Regal und legte es ihr in den Korb.
»Womit habe ich das denn verdient?«
»Ich weiß doch, dass du Honig im Tee magst. Du kannst Fräulein Josephine und Vlatir ja was abgeben – aber nur, wenn du willst.«
Gaia nahm den Korb und zeigte auf den Honig. »Das hier ist, wofür es sich zu leben lohnt«, meinte sie.
Er lachte, dass seine großen Brauen hüpften. »Du wirst mich schon nicht enttäuschen, junge Gaia. Mach dir da mal keine Gedanken.«
Gaia wollte Leon erzählen, was sie erfahren hatte, doch es ergab sich nie die Gelegenheit. Er entwickelte eine geradezu unheimliche Gabe, nur dann aufzutauchen, wenn Josephine ebenfalls da war, und schien kein Interesse an einer neuerlichen Unterhaltung zu haben.
Mit der Zeit begann Maya zu wachsen. Erst wurden die pummeligen Finger schlank und biegsam. Dann schien sie sich fast stündlich zu verändern. Ihre Wangen begannen sich zu zeigen, und ihr Kopf war nicht mehr ganz so wackelig. Junie schlief schon durch, und Maya brauchte nur noch alle fünf statt vier Stunden gestillt zu werden. Als Gaia zum ersten Mal wieder sechs Stunden am Stück geschlafen hatte, ohne dass ein Baby sie weckte, war sie ganz erstaunt, wie ausgeruht sie sich fühlte. Der Zeitpunkt war doppelt willkommen, weil sie früher am Abend bei einer Geburt geholfen und die Erholung bitter nötig gehabt hatte.
Josephine lächelte sie vom anderen Bett in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer aus an. Sie stillte gerade Junie, und Maya schlief wundersamerweise noch in ihrer kleinen Korbwiege, die Bäckchen rosig und prall. Draußen vor dem Fenster war es genauso grau und bewölkt wie seit Tagen, drinnen aber schien die Sonne.
»Heute wird ein guter Tag«, sagte Josephine.
Gaia bettete ihre Wange wieder aufs Kissen und lächelte. »Glaube ich auch.«
»Du kommst nie drauf, wer gestern Abend zu Besuch kam, als du weg warst: Taja. Ich hatte mich schon ewig nicht mehr mit ihr unterhalten – seit der Sache mit Xave nicht mehr –, aber sie war sehr nett. Sie meinte, es gäbe Gerüchte über dich.«
»Keine schlimmen, hoffe ich.«
»Unterstützt du die Männer dabei, das Stimmrecht zu kriegen?«, fragte Josephine.
»Ich finde schon, dass sie auch wählen sollten«, antwortete Gaia überrascht. »Das heißt aber nicht, dass ich etwas in der Richtung unternommen hätte. Wer behauptet das denn?«
»Sie wollte wissen, ob du darüber gesprochen hast. Ich habe Nein gesagt.« Josephine fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich glaube, es ist nur ihre persönliche Paranoia. Sie würde alles tun, um ihre Mutter zu schützen. Soll ich dir ein Geheimnis verraten?« Sie grinste spitzbübisch.
»Klar.«
»Vlatir wäscht jeden Abend sein Hemd im Zuber auf der Veranda. Ich glaube, er hängt es bei sich im Zimmer über Nacht zum Trocknen auf. Ist das nicht niedlich?«
Das musste das Plätschern gewesen sein, das sie neulich spät am Abend noch gehört hatte. Vermutlich hatte er im Gefängnis saubere Kleidung mehr denn je schätzen gelernt. Ihr war es damals ähnlich ergangen. »Am Feuer würde es schneller gehen«, sagte sie. »Und er braucht dringend mehr Kleider.«
Josephine lachte. »Genau das dachte ich auch. Sollen wir ihm ein neues Hemd nähen?«
Angesichts der Tatsache, dass sie die Tochter eines Schneiders war, stellte ein Hemd keine allzu große Herausforderung dar, aber Gaia konnte sich einfach nicht vorstellen, etwas derart Persönliches für Leon zu tun. Allein die Vorstellung, mit Stoffen zu hantieren, die später einmal seine Haut berühren würden, war ganz eigenartig.
»Ohne mich«, sagte Gaia.
»Wieso denn nicht? Was ist das denn jetzt eigentlich mit euch? Ich meine, er ist wirklich hübsch und gescheit – und so ernst. Diese Augen!«
»Ist ja schon gut.« Gaia setzte sich auf und schob ihr Kissen zur Seite.
»Nein, ernsthaft«, beharrte ihre Freundin. »Wieso bist du nicht ein bisschen netter zu ihm?«
»Ich? Netter? Er ist doch der Distanzierte! An der Oberfläche mag er vielleicht höflich wirken, weil er gar nicht anders kann – doch im Grunde traut er mir nicht über den
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