Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Doors

The Doors

Titel: The Doors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greil Marcus
Vom Netzwerk:
jedoch keine Arena, und die Vorstellung, tatsächlich in der Öffentlichkeit zu erscheinen, ist undenkbar – ja noch schlimmer, sie ist sinnlos. Es gibt keine Öffentlichkeit. Seine Eltern lassen ihm seinen Freiraum, doch es gibt keinen öffentlichen Raum, den er mit anderen teilen könnte. Wie Margaret Thatcher einmal voller Befriedigung sagte, mit Worten, die Jenny Diski noch eine Generation später in Rage versetzen sollten: »So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht. Es gibt nur einzelne Männer und Frauen, und es gibt Familien.« Als Discjockey ist Christian Slater ein Geheimagent ohne Mission, ein Terrorist ohne Gegner. Doch in einer Welt ohne eine Arena bedeutet die Tatsache, dass niemand zuhört, Freiheit. Da niemand zuhört, da nichts von dem, was Slater sagt, irgendwelche Folgen haben kann, darf er sagen, was er will, mit glänzenden, hellwachen Augen hinter seiner blinzelnden Maske. Auf diese Weise kann er herausfinden, was er sagen möchte.
    Das ist der Film. Das ist das, was passiert. Oder, genauer gesagt, das ist der Ausgangspunkt der Geschichte – der Geschichte, die eigentlich nicht stattfindet.
    Ein Junge spricht im Äther; bei seinen Mitschülern, die seine Identität nicht kennen, wird er erst zu einem Gerücht, dann zum letzten Schrei. Er avanciert zu ihrem Idol; sie gehen in den Schulkorridoren an ihm vorbei, ohne zu ahnen, wer sich hinter diesem unscheinbaren Typen mit den hängenden Schultern verbirgt. »Ich könnte der anonyme Streber sein, der dir im Chemielabor gegenübersitzt«, sagt er eines Nachts in seiner Sendung. Er demonstriert seinen Mitschülern, was Redefreiheit ist. Sie organisieren sich zu einem Publikum, zu einer Fangemeinde, die sich jede Nacht auf einem Parkplatz versammelt und ihre Autoradios auf Slaters Sender einstellt, um ihm zuzuhören – wie eine Menge, die in eine Konzerthalle strömt, um jemand anderem dabei zuzuschauen, wie er frei ist.
    Einige Zuhörer beginnen jedoch, ihr Verhalten zu verändern, ohne eine bestimmte Absicht, einfach nur deshalb, weil sie mit einem Mal finden, dass ihr bisheriges Leben nicht das ist, das sie eigentlich führen wollen. Es kommt zu kleinen Akten der Rebellion – Graffiti an den Schulmauern. Diese Aktionen wirken wenig originell, woanders abgeschaut. Auf gewisse Weise ist Pump Up the Volume kaum mehr als eine in den Neunzigerjahren spielende Version eines Fünfzigerjahre-Streifens, in dem es Streit wegen des Schulballs gibt: Die Kids wollen eine Rock-’n’-Roll-Band für die große Party engagieren, und die Erwachsenen sind strikt dagegen; am Ende erscheinen dann Bill Haley & The Comets auf der Bühne, Typen, die durch die Bank älter aussehen als die Eltern der Schüler, und der Konflikt löst sich in Wohlgefallen auf. In Pump Up the Volume gibt es jedoch auch kleine Akte der Rebellion, von denen man weiß, dass sie das Leben der Akteure nachhaltig verändern werden, Handlungen, die sie später nie bereuen werden und die den Grundstein für eine lebenslange Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen legen werden. »Hast du es auch so satt, dass man dir ständig vorschreibt –« »Ja, verdammt satt«, antwortet eine von Slaters Zuhörerinnen, das netteste Mädchen der Schule – das ist die Rolle, die man ihr anzuerziehen versucht. Sie legt ihren Schmuck in die Mikrowelle und schaut dabei zu, wie diese in die Luft fliegt. Am nächsten Abend erscheint sie bei einer Konferenz, die die Schulbehörde wegen des illegalen Senders anberaumt hat, und meldet sich dort zu Wort. Sie hat einen Mullverband auf der Nase, und der Film lässt offen, ob sie von einem umherfliegenden Glassplitter der Mikrowelle getroffen wurde oder ob ihr Vater sie geschlagen hat.
    Das ist jedoch weniger wichtig als der Sachverhalt, dass das Mädchen nun in Gegenwart einer Menschenmenge, in Gegenwart von Leuten, vor denen es bisher immer Angst gehabt hat, aufsteht und sagt, was es zu sagen hat – wo es wenige Tage zuvor noch nicht einmal wusste, dass es überhaupt etwas zu sagen hat. Das ist eine Erfahrung, die einen von Grund auf verändert: Hat man sich einmal getraut, in der Öffentlichkeit aufzustehen und etwas zu sagen, was andere womöglich nicht hören wollen, so wird man zu einem neuen Menschen. Danach wird man mutiger sein – oder man wird sich daran erinnern, dass man einmal mutig gewesen ist, und sich danach vielleicht immer feige fühlen, aber keineswegs klein und unwichtig: keineswegs so, als stünde für einen nichts auf dem Spiel, als sei

Weitere Kostenlose Bücher