The Doors
woraufhin die Instrumente der Band verstummen. »Hello, Detroit.« Ray Manzarek spielt auf seiner Orgel das Pendant zu den Snare-Drum-Schlägen, mit denen der Nachtclub- und Fernsehkomiker Henny Youngman seine Pointen unterstreichen ließ. »Hello, Salt Lake. Hello, Washington, D. C. How ya doin’?« Robby Krieger macht mit seiner Gitarre das Gleiche wie Manzarek. »Minneapolis, how ya doin’? Hey, Seattle – nice to see ya. Dallas, Texas. Hi, y’all.«
»Das war eine Nummer, die Jim hin und wieder brachte, um das Publikum zu verunsichern«, sagte Krieger 1997. »Er wollte, dass die Leute stutzig wurden, dass sie das Gefühl bekamen: ›Hey, da stimmt was nicht.‹«
Das Publikum verunsichern – darauf zielte Morrison schon sehr früh ab. Am 6. Januar 1967 gaben die Doors ihr erstes Konzert in San Francisco, im Fillmore Auditorium. Ihr Debütalbum war damals noch nicht erschienen. In der Bay Area kannte man die Doors nicht einmal gerüchtweise, und sie traten als Vorgruppe für die Young Rascals und Sopwith Camel auf, eine inzwischen in Vergessenheit geratene lokale Gruppe mit einem einzigen Hit, dem gefälligen »Hello Hello«. »Wir kommen auf die Bühne, und Bill Graham stellt uns vor«, erzählte Ray Manzarek fast vierzig Jahre später. »Er sagt: ›Jetzt kommt eine Band aus Los Angeles‹, und als der Name Los Angeles fällt, buhen die Leute« – was die Leute in San Francisco automatisch taten: Los Angeles war Ramsch, es war Plastik, es war Kommerz, Los Angeles war Hollywood, ein einziger Schwindel, und San Francisco wirkte dagegen wie eine Kleinstadt und zugleich wie der letzte Außenposten der Zivilisation und der guten Manieren. »Wir kommen auf die Bühne, und Jim sagt zu uns: »›When the Music’s Over‹. Spielt ›When the Music’s Over‹«. Ich sagte: ›Warum sollen wir mit »When the Music’s Over« beginnen? Das ist ein langer Song, und dazu noch ein langsamer. Ich bin dafür, dass wir die Leute gleich zu Anfang mit »Break on Through« aus den Socken hauen.‹ Jim sagte: ›Nein, vertrau mir, Mann. Los, legt alles in den Song hinein, was ihr habt‹ ... und es wurde der totale Wahnsinn.«
Damals war das Rock-Publikum noch nicht so blasiert, dass es sich den Auftritt einer Vorgruppe prinzipiell schenkte, oder so unduldsam, dass es jedem, der sich vor der Hauptattraktion auf der Bühne blicken ließ, die Hölle heißmachte. Nein, die Leute waren neugierig. Jeden Tag tauchten neue Bands auf, und viele verschwanden gleich wieder. Man wusste vorher nie, ob ein Konzert eine letzte Gelegenheit oder ein historischer Meilenstein sein würde, eine Zäsur zwischen Vergangenheit und Zukunft. Aber ein circa fünfzehn Minuten langes, vor sich hin mäanderndes Stück Musik, das kaum als ein Song zu bezeichnen war, willkürlich aneinandergereihte Formulierungen und Passagen von beinahe völliger Stille, die kein erkennbares Ziel zu haben schienen, prätentiöse Deklamationen (»What have they done to the earth? What have they done to our fair sister?«) und affektierte lyrische Metaphern (»I want to hear / The scream of a butterfly«), alles durchsetzt mit erschreckend realistischen psychotischen Schreien – wenn irgendetwas das Zeug dazu hatte, die Leute gleich scharenweise aus dem Saal zu treiben, dann war es diese Nummer. Es sei denn, ihre ersten Töne jagten direkt durch dich hindurch, prallten von der anderen Seite ab und rasten wieder zu dir zurück, sodass du nicht mehr wusstest, was mit dir geschah – genau das schafften diese ersten Töne.
Das Stück erschien neun Monate nach The Doors auf Schallplatte, im September 1967, als letzter Track von Strange Days .
Anmerkung
Das zweite Album der Doors wartete mit einigen starken Songs auf – »Strange Days«, »Love Me Two Times«, »Unhappy Girl«, »People Are Strange«. »My Eyes Have Seen You« war ein führerloses Auto, das seinen Motor mehrmals kurz aufheulen ließ und wieder drosselte, bevor es mit Vollgas den Strip hinunterraste, als gehörte ihm die Straße ganz allein – und dann nahm dieses Auto die Dead Man’s Curve, donnerte durch sie hindurch, als sei es der legendäre John Henry mit seinen beiden zwanzig Pfund schweren Hämmern.
Das Album offenbarte aber auch einen Mangel an Gewicht, ein Fehlen von Ernsthaftigkeit. Natürlich sollte Rock ’n’ Roll nicht ernsthaft sein, er sollte kein Gewicht haben, es sei denn, er war »heavy«, doch wenn die Musik, mit der sich die Doors auf ihrem Debütalbum vorgestellt hatten, etwas
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