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The Doors

The Doors

Titel: The Doors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greil Marcus
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an den Hals geschmissen, und 1991 blickte sie inmitten des Medienwirbels um The Doors zurück – in einem der zahlreichen Artikel, in denen es darum ging, ob Oliver Stones Jim Morrison nun der wahre Jim Morrison war oder nicht. »Es heißt, Val Kilmer habe Jims Aussehen hundertprozentig hinbekommen«, schrieb Babitz, »aber woher soll Val Kilmer wissen, wie es ist, wenn man sein Leben lang dick gewesen ist und man eines Sommers Unmengen von LSD schluckt und plötzlich als ein Prinz aufwacht? Val Kilmer ist schon immer ein Prinz gewesen, und deshalb kann er nicht diese Glut ausstrahlen.« Jim Morrison war nicht cool, sagte sie: »Es war so affig, sich nach einem Buch von Aldous Huxley zu benennen. The Doors of Perception? Hallo! Auf eine dermaßen beknackte Idee kann nur jemand aus L. A. kommen – das ist so künstlerkoloniemäßig elitär und so sexy, wie selbst getöpferte Vasen zu glasieren.« Seine Freundin Pamela Courson, sagte Babitz, »war die Coole ... Sie besaß Schusswaffen, sie nahm Heroin, und sie hatte vor nichts und niemandem Angst ... War er bis dahin nur auf morbide romantische Exzesse gepolt gewesen, so hatte er nun jemanden, der ihn anschaute und zu ihm sagte: ›Hey, fährst du nun über diese Klippe da, oder quatschst du nur blöd rum?‹«
    Hört man sich »People Are Strange« an, so kauft man dem Sänger ohne Weiteres ab, dass er weiß, wovon er spricht. Robby Kriegers Gitarre geleitet Morrison entspannt und zuversichtlich in den Song, und etwas von dieser Zuversicht behält er bis zum letzten Wort der ersten Strophe bei. Die Zeile »Faces look ugly, when you’re alone« gleitet vorbei, wird so schwerelos gesungen, dass sie einem wie ein Leuchtkäfer vorkommt, doch diese Schwerelosigkeit ist eine Zeile später verschwunden, »Streets are uneven, when you’re down« – das »down« wird mehr oder weniger abgeschnitten, es prallt frontal gegen eine Wand, mit dem Gesicht zuerst, das Wort wird fest zusammengepresst: »down«. Das ist ein dermaßen verstörender Effekt – oder keineswegs ein Effekt, sondern eine Handlung, ein winziges Ereignis innerhalb einer einstudierten, arrangierten und klar gegliederten Performance –, dass es die Eigenartigkeit, die Wahrheit dieser Zeile verbergen kann: Wir haben es hier mit einem Menschen zu tun, der dermaßen aus den Fugen geraten ist, dass die Straßen, auf denen er geht, selber aus den Fugen geraten. Jemand anders kann eine Minute später dieselben Straßen entlanggehen, und für ihn werden sie vollkommen normal sein.
    Wenn die Zeile das nächste Mal in dem Song auftaucht, wenn das Wort »down« den Moment besiegelt, auf eine herrliche Weise, wie eine sich abrollende Drachenschnur, dann bedeutet das Wort nicht mehr im Entferntesten, was es besagt; der Song hat alles wieder zurückgenommen. Gegen Ende wird er zu einer fröhlichen Nummer zum Mitsingen. Deshalb bleibt einem das erste »down« im Gedächtnis haften. Es dröhnt und hallt nach.
    Bei den Doors kam es nicht selten vor, dass ihnen ihre Songs entglitten, sobald diese Gestalt annahmen. Gingen sie auf Nummer sicher? Polierte Paul Rothchild die Musik so lange, bis der Glanz unzerstörbar war, aber die Glut zwangsläufig dahinschwand? Die 2006 erschienene Neuauflage von Strange Days wartete mit ein paar Bonus-Tracks auf, und einer davon dokumentierte eine Reihe von verpatzten Anfängen zu »People Are Strange«. »Gentlemen, das ist die Sensation! Die Doors nehmen ein neues Album auf!«, hört man Rothchild vom Kontrollraum aus sagen. »Los, Leute, jetzt kommt Take drei – das Vielfache von, äh, also der kleinste gemeinsame Nenner von sechs, neun und all den anderen magischen Zahlen. Take drei!« Es folgt eine längere Pause. Krieger streicht über die Saiten, um seine Gitarre zu stimmen, und dann folgt die Andeutung eines Riffs; von der Orgel kommt ein Quieken. Es wird wieder geredet, und dann heißt es ein weiteres Mal: »Take drei!« Und diesmal holt Krieger die beseelteste, andeutungsreichste Folge von Tönen aus den Saiten seiner Gitarre – eine ausgedehnte, an einen Wirbel erinnernde Figur, die nicht nur Gefühle andeutet, die erst noch empfunden werden müssen, und Worte, die erst noch gesprochen werden müssen, sondern auch Leben, die erst noch gelebt werden müssen. Vor allem aber deuten diese Töne den Anfang einer Geschichte an, die größer ist als die, die der Song, so wie er zum ersten Mal, zum dritten Mal, zum vierundzwanzigsten Mal aufgenommen wurde, jemals erzählen sollte.

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