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The Doors

The Doors

Titel: The Doors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greil Marcus
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spüren, wie er sagt: All dieses Zeug ist da draußen, jeder kann es sehen, jeder reagiert darauf, ich reagiere darauf. Ich fahre auf die Frau ab, die auf der Titelseite dieser Ausgabe von Intimate Confessions abgebildet ist, aber ich wette, jemand anders fühlt sich eher von einer Coca-Cola-Flasche angezogen – auf genau dieselbe Weise. Ich muss etwas aus meiner Reaktion machen – ich muss daraus meine eigene Sprache machen. Ich muss den Leuten davon erzählen. Ich muss etwas daraus machen, damit ich es nicht vergesse – nicht das Magazin, denn das kann ich aufbewahren, sondern das Gefühl, das ich hatte, als ich dieses Magazin heute Morgen am Zeitungsstand entdeckte.
    »Ich mache nicht den Fehler, den die Verfechter der Hochkultur begehen, wenn sie aus der Tatsache, dass die Leute billige Kunst mögen, den Schluss ziehen, dass die Gefühle der Leute ebenfalls billig sein müssen«, sagte der inzwischen verstorbene Filmemacher Dennis Potter einmal, als er erklärte, warum Popsongs in seinem Œuvre eine so wichtige Rolle spielten, von Pennies from Heaven bis zu The Singing Detective und Lipstick on Your Collar , seiner Ode an die 1950er-Jahre, die Ära, die er und die Independent Group teilten – und Potter definierte dabei gleichzeitig ein Pop-Ethos, er definierte das, was meiner Ansicht nach in Paolozzis Collage vor sich geht.
    »Wenn Leute sagen: ›Hey, hör mal, sie spielen unser Lied‹«, erklärte Potter, »dann meinen sie nicht: ›Unser Lied, diese kleine, seichte, billige Schnulze, drückt das aus, was wir empfanden, als wir beide uns kennenlernten.‹ Nein, sie meinen: ›Dieses Lied erinnert mich an das unglaubliche Gefühl, das uns überkam, als wir beide uns kennenlernten.‹ Manche der Songs, die ich verwende, sind großartig, über jeden Zweifel erhaben, aber die billigeren Songs stammen noch immer direkt von den Psalmen Davids ab. Sie sagen: ›Hör mal, die Welt ist nicht so, wie es scheint, die Welt ist besser, es gibt darin Liebe.‹ Sie sagen: ›Es gibt uns beide darin.‹ Oder: ›Die Sonne scheint darin.‹ Die sogenannten einfachen Leute, die simplen, ungebildeten Leute können genauso echte und tiefe Gefühle haben wie die kultiviertesten Angehörigen des Bildungsbürgertums. Und wer etwas anderes behauptet, der ist ein Faschist.«
    Chuck Berrys »No Money Down« ist ebenso sehr eine Fantasie, eine Collage aus Reklameannoncen und Werbeslogans, wie Paolozzis I Was a Rich Man’s Plaything . Es war eine Nachfolgenummer zu »Maybellene«, Berrys 1955 erschienenem ersten Hit. Im letztgenannten Song verfolgt der Sänger Maybellenes Cadillac in seinem alten, klapprigen Ford – er holt Maybellene ein, aber die Verfolgungsjagd hat seiner Karre den Rest gegeben. Und so ist er jetzt drüben beim Autohändler und kauft sich seinen eigenen Cadillac. Die Verwendung eines melodramatischen Stoptime-Beats, wie er später bei der Titelmelodie der Pink-Panther-Filme mit Peter Sellers als Inspektor Clouseau zum Einsatz kommen sollte – da dadada da da ... da ... –, lässt Berry die Geschichte mit der vertraulichsten, verschlagensten Stimme beginnen, so als werde gleich ein Verbrechen begangen. Das ist eine irre Geschichte, flüstert er. Das ist viel zu gut, um es laut zu erzählen. Ihr werdet mir nicht glauben, womit ich gerade durchgekommen bin.
    Der Autohändler sagt zu Berry, er könne bekommen, was immer er wolle – binnen einer Stunde. Als Erstes verlangt Berry ein gelbes Kabriolett. Dann verlangt er einen starken Motor – mit »Düsenantrieb«. Der Autohändler zuckt nicht mit der Wimper, doch Berry hat noch gar nicht richtig angefangen. Er erhöht das Tempo sogar noch, und nun kann man sehen, wie die Leute in der Bar oder auf der Straße oder wo immer er seine Geschichte erzählen mag, sich um ihn scharen, um zu hören, was als Nächstes passiert, was auf dem Spiel steht, wer gewinnt, wer verliert. Nun ist der Geschichtenerzähler praktisch ein Prediger, der Erlösung verheißt, der erklärt, was Erlösung ist – und wie man sie bekommt.
    Ich sagte zum Autohändler, erzählt Berry, dass ich ein komplettes Klappbett auf dem Rücksitz haben wollte – und bevor er irgendetwas sagen konnte, erzählte ich ihm, was ich sonst noch so wollte. Es war erst 1955, aber ich konnte in die Zukunft sehen, und ich hatte keine Lust zu warten: Also verlangte ich ein Kurzwellenradio, ein Telefon und einen Fernseher. Der Autohändler sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen, doch er sagte Ja, und ich

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