The Doors
mit einer Nippelkokarde aus Alufolie versehene, torpedoförmige linke Brust mit einer Hand anhebt. Man sieht das Ford-Logo und, direkt durch das gewaltige Panoramafenster, die Anzeigetafel eines Kinos mit dem Titel des Films, der dort gerade läuft – Al Jolsons The Jazz Singer , als sei die Hauptfigur ein Vorbote des schwarz geschminkten Gesichts, das die Popkultur während des kommenden Jahrzehnts präsentieren sollte. Man sieht ein eingeschaltetes Tonbandgerät, das auf dem Fußboden steht, den ebenfalls eingeschalteten Fernseher, eine Konservenbüchse mit Kochschinken, die wie ein Kunstobjekt auf dem Couchtisch platziert ist, auf dem sich auch noch eine Tasse Kaffee befindet – betrachte ich dieses Bild heute, so sehe ich dort vermutlich das, was ich auch 1956 gesehen hätte, doch ich wäre damals nicht in der Lage gewesen, das Gesehene in Worte zu fassen.
Ich sehe eine Welt, in der alles gleichwertig ist, aber in der alles wertvoll ist: also eine Welt, in der kulturelle Unterscheidungen sinnlos sind und in der keine kulturellen Unterscheidungen getroffen werden können, selbst wenn sie sinnvoll wären.
Ich sehe sexuelle Anarchie: genau die Sorte von vorstädtischer sexueller Anarchie – vom Playboy bis zum Partnertausch und zu der in den 1950er-Jahren um sich greifenden Epidemie von Ehebruch und Scheidung –, die amerikanischen Magazinen im folgenden Jahrzehnt einen reißenden Absatz bescheren sollte, bis die sogenannte sexuelle Revolution der 1960er-Jahre derlei Publikationen überflüssig und verklemmt erscheinen ließ. In Dokumentarfilmen über die damalige Zeit kann man eine blutjunge, noch keine zwanzig Jahre alte Marianne Faithfull sehen, wie sie, in körnigem Schwarz-Weiß, in einer längst vergessenen britischen Interview-Sendung ihre Meinung äußert; man schreibt das Jahr 1965. »Wenn jeder das machen würde, was Sie offenbar befürworten«, sagt ein dickwanstiger Typ zu Mick Jaggers damaliger Freundin, der zukünftigen Heroinkonsumentin und Rachegöttin des Punk, und nach einem gewichtigen Räuspern wendet er sich direkt an das zierliche blonde Mädchen mit dem Engelsgesicht und der Klosterschwesternstimme, um seinen Satz fortzusetzen, »würde dann nicht das gesamte Gebäude unserer Gesellschaft einstürzen?« »Ja«, erwidert sie mit einem fröhlichen Lächeln, wobei ihr Tonfall ein Reich sinnlicher Genüsse heraufbeschwört, das ihr Interviewer nie kennenlernen wird, »wäre das nicht schön? Ich glaube, ich bin ziemlich einflussreich. Man könnte mich – also, man wird mich vermutlich fertigmachen. Aber ich will es versuchen.«
Das war die Zukunft, die in Just What Is It That Makes Today’s Homes So Different, So Appealing? enthalten war. Betrachte ich Hamiltons Collage, so beschleicht mich das Gefühl, dass ich in ein gefährliches Spiegelkabinett gelockt werde – etwa so wie die Kinder, die mit einem aus Süßigkeiten gebauten Haus in den Backofen der menschenfressenden Hexe gelockt werden.
Die Collage ist nicht besonders groß: 26 x 25 Zentimeter. Sie ist geschickt zusammengesetzt und harmonisch proportioniert. Man ahnt den Spaß, den Hamilton beim Anfertigen dieses Werkes gehabt hat – und man ahnt seine Nervosität. Habe ich genug gesagt? Habe ich zu viel gesagt? Ist dies wirklich das, was das Zuhause von heute so anders macht, so anziehend, so diabolisch?
Hier vollzieht sich eine Offenbarung – die Erschaffung eines bizarren, aber dennoch einleuchtenden Tableaus, um einen Blick hinter die Maske zu werfen, die die Popkultur bereits über das Gesicht der Moderne, der modernen Lebensweise, des modernen Lebens zog. Vergleicht man Hamiltons Collage mit dem überwiegenden Teil dessen, was als Pop-Art in die Geschichte eingegangen ist, so ist das ungefähr so, als vergliche man eine kultivierte Cocktailparty mit einem Betrunkenen, der einen in eine Zimmerecke drängt und dann vom Benzinpreis, von seiner Nutte von Ehefrau und den Weltherrschaftsplänen der Juden schwadroniert.
Zwischen der in der Pop-Art der 1960er-Jahre praktizierten Inbesitznahme von Comicstrip-Figuren durch Andy Warhol und Lichtenstein – ihre Gemälde von Dick Tracy und ähnlichen Gestalten – und den Dick Tracy -Überarbeitungen des in San Francisco ansässigen, inzwischen verstorbenen Collagen-Künstlers Jess kann man die gleiche Trennlinie erkennen. Jess’ Dick Tracy findet man in seinen Tricky Cad -Fallbüchern, einem umfangreichen, obsessiven Projekt, das er von 1954 bis 1958 verfolgte und bei dem er auf
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