The Doors
Elvis Presleys Adaptionen von Blues- und Countryformen, als Teil einer Tradition, eine Zukunft und eine Vergangenheit implizierten und dass Elvis Presleys Performance nicht bloß die Art und Weise veränderte, auf die die Leute ihre Kultur und sich selber in der Gegenwart sahen, nein, sie veränderte auch die Erwartungen, die die Leute an die Zukunft stellen sollten, und sie veränderte ihre Sicht der Vergangenheit. Wir können hier auch außer Acht lassen, dass das in Los Angeles beheimatete Rock-’n’-Roll-Gesangsensemble The Medallions 1954 eine Platte mit dem Titel »Buick ’59« herausbrachte – weil die Jungs hofften, dass diese Vordatierung die Discjockeys dazu bewegen würde, den Song mindestens die nächsten fünf Jahre im Radio zu spielen. Und wir können ebenfalls außer Acht lassen, dass sich die Doors ebenso sehr in der Tradition der feinen Künste sahen – in einer Tradition innerhalb der Tradition, im Strom der Art maudit , der Blake, Poe, Baudelaire, Rimbaud, Nietzsche, Jarry, Buñuel, Artaud und Céline an ihre Türstufen spülte – wie in der Tradition des Rock ’n’ Roll, oder dass der Rock ’n’ Roll für die Doors bereits eine Tradition darstellte, die genauso viele Helden und Märtyrer hervorgebracht hatte wie jede Tradition, auf die Hamilton sich berufen mochte. Nein, das wirklich Interessante ist dies: Wenn ein so vollkommener Popkünstler wie Richard Hamilton derlei Dinge sagen kann, hat es dann überhaupt eine Pop-Art gegeben? Ich meine, Pop-Art als eine Form, als eine Kunstrichtung, im Unterschied zu jenen Orten und Momenten, wo diese Kunst auftauchte, ohne dass sie eines Etiketts bedurfte, so wie bei »Twentieth Century Fox« oder, vier Jahre später, in einer eigenartigeren, weniger eindeutigen Gestalt, bei »L. A. Woman«, das sich nicht auf eine Person bezieht, sondern ein Pop-Art-Plan einer Stadt ist.
Pop – das Geräusch beschreibt, was die Kunst, in der hermetischen, in Kunst eingeschlossenen Kritik, möglicherweise sein wollte. Pop – das ist ein Luftballon von jeder erdenklichen Farbe. Er produziert ein Bild, dann macht er ein Geräusch, dann ist er verschwunden. Was übrig bleibt, sind Gummifetzen, moderne Tonscherben, Abfall, den man, wenn man es wollte, zu einem neuen Bild zusammenkleben könnte, anstatt ihn wegzuwerfen. Der Streich, den die Kultur den genuinen Popkünstlern gespielt hat, besteht darin, dass das, was sie für vergänglich hielten, für kurzlebig und zeitgebunden – Comichefte, 45er, LPs, Werbeanzeigen –, die Zeit überdauert hat. Diese Dinge werden in teuren Kunstbüchern und CD -Box-Sets konserviert; sie sind jederzeit online zugänglich, in buchstäblich jedem Winkel der Welt.
Sie faszinieren heute noch genauso, wie sie es vor dreißig, vierzig, fünfzig oder sechzig Jahren getan haben, und bei den womöglich reinsten, schlichtesten und komplettesten aller Pop-Art-Werke geht es um genau diese Faszination. Es handelt sich um die unbetitelten Verifax-Fotomontagen, die der auf Assemblagen spezialisierte kalifornische Künstler Wallace Berman von den Mittsechzigerjahren bis zu seinem Tod im Jahr 1976 anfertigte: an Briefmarkenbögen erinnernde Bögen mit mal zwölf und mal Dutzenden von Bildern, wobei auf jedem dieser Bilder eine Hand zu sehen ist, die ein winziges Transistorradio in die Höhe hält; gelegentlich können es auch fünf Radios gleichzeitig sein, aufgefächert wie die Karten eines Pokerblatts.
Auf diesen fotomechanischen Reproduktionen sah man immer dieselbe Hand und dasselbe Radio, doch an der Stelle, wo der Lautsprecher des Radios sein musste, befand sich jedes Mal ein anderes Bild. Man entdeckt dort ein nacktes Pärchen; man sieht Charlie Watts und Mick Jagger, einen Schlüssel, ein Motorrad, einen Football-Spieler, eine Pistole und ein Eisernes Kreuz, ein hebräisches Schriftzeichen, ein Krankenhausbett, das so aussieht, als sei gerade jemand darin gestorben, ein Standbild aus einem Pornofilm, einen Astronauten, Blätter, eine Rose, eine Spinne, Kenneth Anger als blutjungen Schauspieler, eine Uhr, ein Ohr, Allen Ginsberg, James Brown, schicke Leute, die aus einem Restaurant kommen, Bob Dylan, eine zerrissene Eintrittskarte für ein Konzert. Die Doors tauchten dort nicht auf – Berman zählte nicht zu ihren Fans
Anmerkung
–, doch das war unerheblich: Die von Berman geschaffene Form enthielt die Doors trotz ihrer formalen Abwesenheit. Während er arbeitete, waren sie im Radio zu hören, und die Art von Musik, die sie machten,
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