The Doors
die vierfarbige Titelseite des Comic-Teils des San Francisco Chronicle zurückgriff. Was Jess macht, ist keine Inbesitznahme. Wenn er die Dick Tracy -Comicstrips zerschnippelte und neu zusammenklebte – wobei er die Figuren ein Kauderwelsch sprechen ließ, das unverständlich und zugleich bedrohlich war, paranoid und vollkommen rational, ein Kauderwelsch, das man heute nur noch mit Mühe verstehen kann –, dann führte er einen Ringkampf oder er erklärte einen Krieg.
Erstmals im Jahr 1931 erschienen, als ein Aufruf zur Säuberung der durch die Prohibition korrumpierten Polizeikräfte, hatte sich Chester Goulds Dick Tracy 1954 zur Comicstrip-Version des McCarthyismus, der Kommunistenfurcht und der Hatz auf vermeintliche Staatsfeinde entwickelt – in Jess’ Händen wird der große Kreuzzug zur Säuberung des Landes legasthenisch. DICK TRACY – die Wörter verlieren ihre Gravität, zerfallen zu ICK TRA, TRICKD, DICK RACY, TICK R . Das waren Überschriften, die Jess über einzelne Folgen seines ersten Tricky Cad setzte. Es folgten noch DIRAC, KID RAT, ICKY TAR, ICKIART, TRACKY DIRT.
Der in den Anagrammen allenfalls notdürftig versteckte Name, der Name, um den es eigentlich ging, wäre TRICKY DICK gewesen, der in den 1950er-Jahren von Liberalen verwendete Spitzname für den Kommunistenfresser Richard Nixon. Jess bezeichnete sein Werk als eine »Dämonstration der hermetischen, in KUNST eingeschlossenen Kritik«. Er wollte den Schlüssel bereitstellen, die Kunst freilassen, die Kritik ans Tageslicht holen: die Geschichte, die Dick Tracy erzählte, ohne es zu wollen.
Es stand viel auf dem Spiel. Damals verbreiteten buchstäblich alle Medien die Botschaft, dass dein Nachbar ein Kommunist sein könnte – oder ein Homosexueller, was auf Jess zutraf. Mit Tricky Cad als seiner Waffe befreite Jess die hermetische Kritik aus ihrem Käfig: Er porträtiert eine von Argwohn und Misstrauen beherrschte Gesellschaft. »Sie haben uns keine unbefangene Antwort gegeben«, sagt eine Polizistin zu einer in Gewahrsam genommenen alten Frau. »Sperr sie ein, Murphy!«
»Sie sind für schuldig befunden worden«, sagt ein Richter zu einer anderen, modisch gekleideten Frau, deren Kopf durch etwas ersetzt worden ist, was wie eine umgedrehte Schreibmaschine aussieht, »das Gefängnis verlassen zu haben und zu Hause zu leben!« »Ich brauche kein Baby«, sagt die Frau im folgenden Bild, plötzlich wieder mit einem Kopf ausgestattet, und begehrt gegen alles auf, was man im Amerika der 1950er-Jahre von ihr erwartete. »Steckt sie für ein Jahr hinter Gitter!«, erklärt der Richter, und die Frau verschwindet auf Nimmerwiedersehen.
Richard Hamilton genoss ebenfalls diese Art von obsessiver Schöpfung, das nervöse Hochgefühl einer krassen, ausdrucksstarken Collage – aber auch er wurde ein Opfer der Angst, nicht als Künstler anerkannt zu werden, der Angst, mit seinem der »minderwertigen« Massenkultur entnommenen Material identifiziert zu werden, einer Angst, die dazu führte, dass so viele andere Künstler sich ihre Hände weniger schmutzig machten als Hamilton. »Gibt es etwas«, sagte er 1976, mit der Frage im Hinterkopf, die er sich zwanzig Jahre zuvor gestellt hatte, »gibt es irgendein Charakteristikum dieser Pop-Art-Phänomene, das mit den feinen Künsten unvereinbar ist? Ich sagte, ist das Big Business mit den feinen Künsten unvereinbar? Nein. Und ich ging eine lange Liste mit all den Dingen durch, die ich mit der Kunst der Massenmedien verband, und das einzige mit den schönen Künsten unvereinbare Element, das ich fand, war die Entbehrlichkeit ... Wenn Elvis Presley eine Platte machte, dann hatte man nicht das Gefühl, dass er sie auch noch fürs nächste Jahr machte. Nein, er machte sie für diese Woche, und sobald die ersten vier Millionen Exemplare über den Ladentisch gegangen waren, spielte es im Grunde keine Rolle mehr, ob man das Ding jemals wieder zu hören bekam oder nicht. Und ich dachte, das ist etwas, was jemand, der im Bereich der schönen Künste arbeitet, niemals hinnehmen würde: Der Künstler begibt sich nicht in den kreativen Prozess der Herstellung eines Kunstwerks, wenn er weiß, dass es nicht bis zum nächsten Jahr oder noch viel länger überdauern wird. Er muss sich in dem Bewusstsein an die Arbeit machen, dass sein Kunstwerk diese oder jene Qualität besitzt, die überdauern wird.«
Lassen wir die Ignoranz, die hier zum Ausdruck kommt, einmal außer Acht – die Blindheit gegenüber der Tatsache, dass
Weitere Kostenlose Bücher