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The Doors

The Doors

Titel: The Doors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greil Marcus
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bewirkte, dass Berman das Radio in seiner Hand in die Höhe hob, in die Luft oder an sein eigenes Ohr, an das Ohr eines Freundes, ja sogar an das eines wildfremden Passanten. Nur dass die Doors schließlich doch noch dort landeten, im Rahmen jenes größeren Spiels der Inbesitznahme, das man Werbung nennt. 2011 tauchten in einem iPhone/iTunes-Werbespot diverse Alben beziehungsweise deren Cover auf dem iPhone-Bildschirm auf. In visueller Hinsicht war das Ganze buchstäblich eine neue Version von Bermans Transistorradio, eine, wenn man so will, originalgetreue Übertragung seiner Idee: Ein moderner Moment folgte auf den anderen, The Freewheelin’ Bob Dylan , Justin Biebers My Worlds Acoustic , PJ Harveys Let England Shake , London Calling von den Clash, Bright Eyes’ The People’s Key , Au Revoir Simones Still Night, Still Light , Hayes Carlls KMAG YOYO und noch zwanzig weitere Alben, alle vor einem strahlend weißen Hintergrund, eingefasst vom schwarz schimmernden Gehäuse eines iPhones, bis das Ganze – wie ein zur rechten Zeit ausgeworfener Anker – mit einem visuellen Gongschlag ausklang: mit The Doors.
Anmerkung
    Bermans Gebärde, die Art und Weise, auf die das Radio emporgehalten wurde, verwandelte seine Abfolge von Bildern in eine Beschwörung – und sie machte jede der gezeigten Variationen zu einem Talisman. Zusammengenommen ergaben die kleinen Reproduktionen ein Feld von Bildern, ein Kraftfeld; das Feld pulsierte vor Leben. Es war die beiläufigste Art von künstlerischer Schöpfung, komponiert aus den vergänglichsten Materialien – die Radios gibt es nicht mehr, die Popkultur-Bezüge sollten eine Woche später eigentlich Schnee von gestern sein, heute weiß niemand mehr, wofür die Fotokopierer-Marke Verifax steht, doch das Bekenntnis zur Alltagskultur als einer verschütteten Mine, einer Fundgrube von Geheimnissen, einem Freiluftmuseum voll versteckter und zugleich unübersehbarer Hinweise, war uneingeschränkt.
    Mit dieser billigen, leicht anzufertigenden, unbegrenzt kopierbaren Kunst realisierte Berman all das, was Pop jemals implizierte. Und Berman fing dessen Theorie ein, die letztlich auf eine Herausforderung hinausläuft. Das, was mit Sicherheit verschwinden wird, ist das, was mit Sicherheit überdauern wird, sagt die Pop-Herausforderung zu allen, denen Pop Angst macht – aber was sich wirklich mit Sicherheit ändern wird, ist der Wertmaßstab, nach dem man bemisst, welche Dinge gemacht worden sind, um zu überdauern, und welche dazu bestimmt sind, vergessen zu werden. Man soll sich nicht darum scheren, was überdauern wird und was nicht; man soll sich nicht einbilden, dass der Wunsch, Dinge zu erschaffen, die überdauern werden, etwas anderes ist als Eitelkeit. Was ein Jahrzehnt überdauert, ist nichts weiter als eine geschmackliche Übereinkunft. Was ein Jahrhundert überdauert, ist Zufall.
    1986 sprach die Punk-Künstlerin Shawn Kerri über die Handzettel und Poster, die sie 1980 in Los Angeles für lokale Punk-Bands wie die Circle Jerks oder die Germs angefertigt hatte – Arbeiten, die nur wenige Jahre später in teure Kunstbücher aufgenommen wurden. »Viele meiner Handzettel wurden schon damals zu Klassikern«, sagte sie. »Zum Beispiel der, auf dem ein Totenschädel mit Irokesenfrisur durch das ›Wappen‹ der Germs hindurchbricht – ein blauer Kreis, den man entweder auf einem schwarzen Armband trug oder auf jede freie Fläche sprayte. Die härtesten Fans der Band brannten sich den Kreis mit glühenden Kippen aufs linke Handgelenk, und nicht wenige ließen ihn sich auf den Körper tätowieren. Der ›Germs Return‹-Flyer hat die Leute damals schwer beeindruckt. Er wurde für das Konzert gemacht, das sie gaben, kurz bevor Darby Crash, ihr Leadsänger, an einer Überdosis starb.« Crash hatte sich kurz vor dem Auftritt einen Schuss gesetzt; er wollte auf der Bühne sterben, mitten in einem Song. Der Plan funktionierte nicht: Als er starb, waren der Band die Songs ausgegangen, und das Konzert war vorbei.
    »Darby wusste nicht, was ich machen würde«, erzählte Kerri. »Er sagte mir nicht, was er haben wollte – er sagte nur: ›Mach einen Flyer.‹ Das machte ich, und als ich ihm den fertigen Entwurf zeigte, war er davon total begeistert – auf eine irgendwie komische Art. Das war wie eine vorweggenommene Autopsie. Ich fragte mich später, ob ihm das Totenkopf-Motiv deshalb so gefiel (der Totenschädel und die Frisur – das war zweifellos er), weil er zu jener Zeit an Selbstmord

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