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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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immer größer und drückender werden und sich türmen.
    »Da draußen gibt es eine Welt. Hinter den Zäunen – da ist eine andere Seite. Ein Ende. Das weiß ich. Da war ein Mädchen. Sie hieß Gabrielle und sie kam von der anderen Seite. Sie war eine Außenseiterin und sie ist hier gewesen und jetzt ist sie eine Ungeweihte, und ich weiß, dass die Schwestern sie geopfert haben. Sie ist die Schnelle, die in der komischen roten Weste, und sie ist der Beweis. Sie haben sie umgebracht, weil sie nicht wollen, dass wir davon erfahren. Sie haben nie gewollt, dass wir etwas wissen.«
    Nach dieser Tirade keuche ich, ich habe schreckliche Angst, weil ich diese Idee rausgelassen habe in die Welt, weil ich meine wahren Sehnsüchte ausgesprochen habe. Das sind ungehörige Gedanken, niemand hat je den Wunsch geäußert, unser Dorf zu verlassen, Utopia gegen das einzutauschen, was da draußen liegen könnte.
    »Wird dich das glücklich machen, Mary?«, fragt er. Seine Stimme ist leise, ohne Tadel oder Verurteilung.

    Schließlich schaue ich ihm in die Augen. Er legt seine Hand in meine, das weiße Band baumelt zwischen uns.
    Für einen kurzen Augenblick hasse ich Harry dafür, dass er nicht Travis ist. Und Travis hasse ich noch mehr, weil er nicht gekommen ist. Weil er mich dieser Nacht preisgegeben hat. Aber am meisten hasse ich mich selbst, weil all meine Liebe Harrys Bruder gehört, so dass nichts für Harry übrig ist.
    Und weil ich viel zu feige bin, ihn loszuschneiden.Viel zu feige, das Messer zu benutzen und unsere Fesseln zu durchtrennen.
    Er beugt sich vor, mir fällt auf, dass er wie Travis riecht. Ich muss die Augen schließen, als seine Lippen meine Stirn berühren. Die Hitze des Feuers erstickt mich beinahe. Sein Mund wandert an mein Ohr. »Wird es dich glücklich machen, hier wegzugehen, Mary?«
    Er ist so zärtlich, so bemüht, mich auf eine Art glücklich zu machen, wie noch niemand zuvor. Mir steigen die Tränen in die Augen, und mein Körper reagiert auf diesen Mann, als würde sein Bruder in mein Ohr flüstern. Als könnte mein Körper den Unterschied zwischen den beiden nicht erkennen, zwischen ihrem Flüstern nicht und ihrem Atem auf meiner Haut.
    Ich kneife die Augen zusammen und nicke. Dabei habe ich schreckliche Angst, dass er mich verstoßen wird für so einen Wunsch, dass er mich abweisen wird und den Schwestern überlassen.
    »Wir finden einen Weg, dass du glücklich wirst, Mary. Ich verspreche dir, ich finde einen Weg für uns.«

    Wieder nicke ich, denn ich kann den Mund nicht aufmachen und reden, weil ich befürchte, dass dann die Schluchzer herauskommen, die ich in mir festzuhalten versuche.
    »Ich will nur, dass du glücklich wirst, meine Mary«, wiederholt er. Dann streicht er mir eine Haarsträhne hinters Ohr, beugt sich über mich und folgt der Spur seiner Finger mit Küssen. Ich öffne die Augen und betrachte meinen neuen Hund, der in seinen Welpenträumen zuckend vorm Feuer liegt, wahrscheinlich jagt er etwas nach, das er nie fangen wird. Morgen wird er vergessen haben, je etwas gewollt zu haben, was außerhalb seiner Reichweite liegt, während ich immer daran denken werde. Das ist der einzige Unterschied zwischen ihm und mir.
    Harry tupft immer noch Küsse meinen Hals entlang, bis ich die Augen schließen muss, ein Keuchen schlüpft mir über die Lippen, als würde ich es genießen.
    Mit geschlossenen Augen hebe ich die Hand und streiche ihm über die Schulterblätter. Ob Travis’ Rücken sich ebenso wölbt? Ob meine Hand sich so an seine Haut schmiegen würde, wie sie sich jetzt an Harrys schmiegt? So oft habe ich in meiner Erinnerung durchlebt, wie Travis mir ins Ohr flüstert, wie Travis mein Gesicht mit Küssen bedeckt. Heute Nacht versuche ich, von diesen Erinnerungen zu zehren, ich fürchte, sie vergessen zu haben, und fühle mich wegen meiner Verwirrung wie eine Verräterin.
    Aber die Visionen wollen nicht kommen und ich kann mich an nichts von Travis erinnern. Hier im Feuerschein
gibt es nur Harry mit seiner warmem Haut und dem Geruch frisch gepflügter Erde. Und ich kann nicht anders, ich höre Schwester Tabithas Worte im Raum widerhallen. Das ist das Leben, das man mir geschenkt hat.
    Nicht das Leben, das ich gewählt habe.

14
    A ls die Sirene am nächsten Morgen heult, bin ich im Bett. Der Hund, den Harry mir gestern Abend als Hochzeitsgeschenk mitgebracht hat – ich habe ihn Argos getauft -, fängt wie verrückt zu bellen an, denn er weiß nicht recht, ob er den Lärm angreifen

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