The Forest - Wald der tausend Augen
sind.
Ich reiße meinen Arm weg. Auf diesen Pfad kann ich nicht zurück. Dieses Dorf und meine Suche nach dem Ende des Waldes und dem Meer kann ich nicht aufgeben. Wenn wir wieder auf den Pfad gehen, sitzen wir in der Falle, denn die Ungeweihten werden das Tor für die nächsten Tage und Wochen blockieren. Wir werden nie wieder reinkommen können.
»Wir schaffen das nicht«, sage ich zu Travis. Und ich habe recht. Wir sind schon zu weit ins Dorf vorgedrungen,
zwischen uns und dem Zaun sind zu viele Ungeweihte, denen können wir nicht ausweichen.
Ich lasse Argos aufstehen, der sich mit angelegten Ohren an mich kauert, das Zittern seines leisen Knurrens spüre ich an meinen Beinen. Er schaut mich einen Moment lang an, sein Zögern ist deutlich. Dann gebe ich ihm einen Schubs mit dem Knie und weg ist er, seine Ausbildung greift. Er rennt von Haus zu Haus, weicht zurück und knurrt, wo er den Tod der Ungeweihten riecht.
Jetzt ziehe ich Travis hinter mir her, er hinkt, weil sein schlimmes Bein steif ist. Er hält mich auf, aber ich möchte ihn nicht zurücklassen.
Ich höre panische Rufe von Jed und Harry, nehme mir aber nicht die Zeit festzustellen, woher sie kommen. Ich kann nur vermuten, dass sie auch Schutz suchen, hoffentlich in der leeren Welt oben in den Bäumen.
An jedem Hauseingang bellt Argos und kehrt wieder um. Die Ungeweihten strömen aus den Gebäuden, aus jedem verborgenen Winkel des Dorfes, und langsam fürchte ich, dass wir niemals einen sicheren Zufluchtsort finden. Dass dieses Dorf nichts anderes ist als ein Bienenstock voller Winterschlaf haltender Ungeweihter.
Wir entfernen uns aus der Dorfmitte, entfernen uns von den Läden und gehen auf die Wohnhäuser zu. Von den Feldern der Umgebung schleppen sich die Ungeweihten heran, ein ganzes Rudel hat uns gewittert und verfolgt uns.
Travis stolpert und seine Hand rutscht mir weg. Ich
drehe mich um, ein kleiner Junge kommt auf uns zu. Seine Kleider sind zerlumpt und seine Arme hängen locker an den Seiten herunter. Ich bin fasziniert von seinen Augen – tiefes Blau im Kontrast zu blasser Winterhaut – und ein roter Schopf. Sommersprossen sprenkeln Nase, Wangen und Ohrläppchen.
Er sieht beinahe lebendig aus, so als wäre er eben vom Mittagsschlaf aufgewacht und würde seine Welt nun verlassen und verändert vorfinden. Ehe ich merke, was ich tu, habe ich ihm schon die Hand hingestreckt, als wollte ich ihn willkommen heißen und ihm sagen, dass alles gut und er nur in einem Albtraum wach geworden ist, der bald in süßere Träume übergehen wird.
Er ist schon fast in meinen Armen, dreht den Kopf zu meiner Hand, macht den Mund auf und zeigt Zähne, da zischt ein bestiefelter Fuß an mir vorbei, trifft den Jungen am Kopf und schleudert ihn zurück.
Das war Travis, er hält sich sein schlimmes Bein. Dann packt er mich und zieht mich von dem Jungen weg. Seine Wut hebt er sich auf, bis wir in Sicherheit sind.
Ich kann nicht widerstehen und schaue über die Schulter zurück zu dem Jungen, der sich wieder hochrappelt. Blutspritzer mischen sich unter die Sommersprossen, seine Nase ist jetzt platt, der Tritt hat sie in seinen Kopf gedrückt.
Aber er ist immer noch hinter mir her. Sein Blick haftet auf mir.
Argos schnappt mir in die Hacken, ich spüre seinen Biss an den Waden. Mit seinem ganzen Körper schubst
er mich voran und treibt Travis und mich auf ein großes dreistöckiges Haus am Ende der Straße zu.
Mittlerweile sind die Ungeweihten zum Greifen nah. Als wir die Haustür erreichen, müssen wir sie aus dem Weg stoßen. Mit aufgesperrten Mündern langen sie nach uns. Sie wollen sich über uns beugen und ich rieche ihren Tod und dann sind wir drinnen, und Travis stemmt sich gegen die Tür, bis das Schloss einrastet.
Die Stille des Hauses treibt mich zum Handeln an. Ich laufe von Fenster zu Fenster, werfe die Fensterläden zu und verstärke sie mit den dicken Planken, die an den Wänden lehnen. Als wir das Erdgeschoss gesichert haben, renne ich nach oben. Dort stehe ich vor einem langen Flur mit geschlossenen Türen auf beiden Seiten.
Argos’ Krallen klappern auf den Dielenbrettern, er beschnüffelt jede Türritze. Die Luft hier oben ist stickig und von dumpfer Schwere.Vor der letzten Tür fängt Argos an zu zittern, ein leises, lang gezogenes Knurren lässt seinen ganzen Körper erbeben.
Ich drücke die Hand gegen die Tür und lege das Ohr ans Holz. Ich höre ein ständiges leises Pochen. Es klingt, als wäre eine Katze im Schrank
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