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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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dem ich jetzt schlafe?
    Man kann die Ungeweihten nahezu unmöglich auseinanderhalten mit ihrem niemals endenden Hunger, ihrem Drängen, der schlaffen Haut und den hellen, aber ausdruckslosen Augen.
    Keine der Frauen scheint die richtige zu sein. Ich renne zur Leiter, klettere nach unten zum Schlafzimmer und schaue aus jedem Fenster. Doch es ist zu schwierig. Sie drängen sich zu dicht zusammen, sie kriechen übereinander und wirbeln Staub auf in ihrem Verlangen, in dieses Haus einzudringen und an mich und Travis heranzukommen.
    Ohne mir die Mühe zu machen, die Röcke zu raffen, flitze ich ins Erdgeschoss und packe einen der langschäftigen Speere.Travis erschreckt. Ich höre nicht, was er sagt, als ich die Treppen wieder hinaufhaste, der Speer schlägt
gegen die Flurwände. Seine rostige Spitze scharrt hinter mir her und ritzt die zerkratzten Dielenbretter, als ich zurück zu meinem Fenster laufe. Ich lehne mich über die Brüstung und dehne die Nähte des Kleides, als ich den Speer so weit wie nur möglich nach draußen recke. Er ist gerade so lang, dass ich vom ersten Stock aus das Getümmel erreichen kann. Und ich stochere die Ungeweihten auseinander, damit ich die Gesichter der Frauen besser erkenne.
    Das ist wie ein Hunger, den ich nicht zu sättigen vermag, wie ein unstillbarer Durst: Ich muss wissen, wer in diesem Haus gelebt hat, wessen Leben ich übernommen habe.Wer von denen ist die Ehefrau und Mutter? Ich bin fast überzeugt davon, dass ich mit einem Blick in ihre Augen erkennen werde, wer hier an ihr eigenes Haus hämmert und wieder Zutritt zu ihrem eigenen Leben sucht. Dem Leben, das ich ihr gestohlen habe.
    Ich bin wie besessen. Mit Tränen in den Augen schubse ich die Ungeweihten mit meinem Speer, bis Travis schließlich ins Zimmer gehumpelt kommt. Er atmet schwer, weil das Treppensteigen so anstrengend war.
    Travis legt mir die Hand auf die Schulter, aber ich schüttele sie ab. Blindlings stoße ich nach den Körpern und brülle: »Wer? Wer von euch?«
    Am Ende reißt er mir den Speer aus der Hand und zerrt mich vom Fenster weg. Aber da habe ich schon andere Möglichkeiten und andere Theorien erdacht. »Vielleicht ist sie davongekommen!«, sage ich zu ihm. »Vielleicht konnte sie nicht zurück zum Haus, aber es ist ihr
gelungen, die Tore zu erreichen«, sage ich. »Vielleicht ist sie wie Gabrielle.«
    Ich lege die Hände an meine Wangen, einen kurzen Augenblick lang ist alles ganz klar. Vielleicht ist sie geflohen, vielleicht sind sie alle da draußen, allein und auf der Suche.Vielleicht bin ich diejenige, die sie findet, die sich an sie erinnert, sie weiterbringt. Ich laufe auf und ab, meine Gedanken überschlagen sich. »Ich kann zu den Toren kommen«, hauche ich aufgeregt. »Ich kann sie finden.«
    »Wen?«, fragt Travis in einem lauten, bestimmten Ton. Er packt mich an den Schultern. »Wen suchst du denn?«
    »Sie.« Ich zeige auf mich, auf das Kleid, das ich trage.
    »Was redest du da, Mary? Das ergibt keinen Sinn.« Er versucht, mich am Hin- und Herlaufen zu hindern, aber meine Füße tippen auf die Dielenbretter, die Zehen krallen sich ins Holz, so stark ist mein Drang, mich zu bewegen, meinem Hunger zu stillen.
    »Verstehst du denn nicht? In diesem Augenblick könnten Leute in unserem Dorf sein und in einem unserer Häuser leben. Sie könnten meine Kleider finden und glauben, ich sei eine von denen, eine Ungeweihte, aber das bin ich nicht. Ich bin hier und sie würden es nie erfahren.«
    Ich befreie mich aus seinem Griff und laufe wieder auf und ab. Mit einer Hand fahre ich durch mein Haar und mit der anderen fuchtele ich herum, während ich nachdenke und versuche, die in meinem Kopf wirbelnden Gedanken zusammenzufügen.

    Wer sind wir, wenn nicht die Geschichten, die wir weitergeben? Was passiert, wenn niemand mehr da ist, der diese Geschichten erzählen kann? Oder zuhört.Wer wird je wissen, dass es mich gegeben hat? Was ist, wenn außer uns niemand mehr da ist? Wer wird unsere Geschichten dann kennen? Und was wird mit den Geschichten von allen anderen passieren? Wer wird sich an sie erinnern?
    »In unserem Dorf ist niemand, Mary«, sagt er. »Und die Frau, die einmal hier gelebt hat, was bedeutet die schon? Sie ist nicht mehr hier. Wenn sie lebend entkommen ist, dann nicht auf unserem Pfad.«
    Ich schnippe mit den Fingern. »Du hast recht«, sage ich. Jeder Gedanke in meinem Kopf ist ganz klar. »Sie muss weitergegangen sein. Sie muss den anderen Pfad genommen haben und von hier

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