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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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der Frau Ausschau zu halten, die einmal in diesem Haus gelebt hat, und ihr zu sagen, dass es jemanden gibt, der sich noch an sie erinnert.
    Dass ihr Leben eine Bedeutung hat.

    Eines späten Vormittags trete ich auf den Balkon hinaus. Das Holz ist schon heiß von der Sommersonne. Harry steht am Rand seiner Plattform, der Stelle, die mir am nächsten ist. Er begrüßt mich winkend und ich winke zurück. Dann macht er mir ein Zeichen, als wollte er mir eine Nachricht zukommen lassen.
    Fragend ziehe ich die Schultern hoch, ich verstehe ihn nicht. Mit der ganzen Hand beschreibt er jetzt einen Kreis, aber ich weiß immer noch nicht, was er will. Er macht diese Bewegungen noch eine Weile, dann gibt er auf und stemmt die Hände in die Hüften. Er dreht sich um, kehrt mir den Rücken zu und schaut über seine Schulter. Ich
mache dasselbe und behalte ihn im Auge, als ich ihm den Rücken zudrehe.
    Er schüttelt den Kopf, und ich sehe, wie seine Schultern sich heben und senken, weil er lacht. Schließlich wedelt er mich davon und geht wieder zu den anderen, und ich setze mich auf meinen Stammplatz, lasse die Füße baumeln und öffne ein Glas Feigenkonfitüre, die ich mir auf ein Stück frisches Brot streiche.
    Ich strampele mit den Beinen, lasse mir den Rock von der frischen Luft bauschen und überlege, wie weit der Weg von unseren Häusern bis zum Zaun wohl sein mag. Und wie weit von meinem Balkon zu Harrys Plattform. Ich schätze ab, wie dicht die Ungeweihten zwischen uns stehen. Und ich halte Ausschau nach Fluchtwegen. Als die Tage vergehen, brennt mir mein Verlangen, die Suche nach dem Meer fortzusetzen, immer mehr unter der Haut.
    Ich versuche, nicht an das Buch voller Fotografien zu denken, das in der Kiste auf dem Dachboden versteckt ist. Travis gegenüber habe ich es mit keinem Wort erwähnt. Er wird nur denken, es sei wieder so wie mit dem grünen Kleid und alles fange von vorne an, weil ich irgendwie besessen bin von unseren Vorgängern und deren Geschichten.
    Ob das Mädchen auf dem Bild wohl gewusst hat, was kommen würde? Dass die Welt sich so drastisch ändern würde? Irgendwie möchte ich glauben, dass das Foto nach der Rückkehr aufgenommen wurde und Mutter und Tochter noch immer irgendwo sicher von den Wellen des Meeres umschlossen sind.

    Aber in ihren Augen ist keine Angst. Und nach der Rückkehr hat niemand ohne diese Angst gelebt. Es ist die Angst vor dem Tod, die immer an einem rüttelt. Immer fordert, immer bettelt.
    Von solchen Gedanken will ich mich ablenken, also erkunde ich das Dorf mit meinen Augen. Wie mag es sein, diese Straßen entlangzuschlendern? Wie mag es wohl gewesen sein, als sie noch voller Leben waren? Unser Haus am Ende dieser Straße überragt alle anderen, links und rechts stehen kleinere, aber sehr ordentliche Holzhäuser. Nicht allzu weit entfernt befinden sich die Geschäftshäuser, die mir an unserem ersten Tag hier aufgefallen sind. Schilder verkünden, welche Waren angeboten werden, Kleider, Lebensmittel, Dienstleistungen. Unangetastet schaukeln sie im Wind. Das ist ein seltsamer Anblick, denn in unserem Dorf sorgen die Schwestern für alles und es ist nicht nötig, Handel zu treiben.
    Aber sosehr ich auch gesucht habe, ein Zeichen von Gott habe ich noch immer nicht an den Gebäuden entdecken können. Nur Ungeweihte, die aus den Häusern schlurfen und aus Läden tappen. Die ganze Szene ist zu surreal, um sie zu verstehen, deshalb schaue ich weg und richte meinen Blick wieder auf Harry, Jed, Cass und Jakob.
    Als die Sonne so hoch gestiegen ist, dass sie voll auf mein Gesicht trifft, werde ich durstig. Ich stehe auf und will ins Haus gehen. Da sehe ich ihn, den Pfeil, der im Holz meiner Tür steckt. Ein kleines Stück Papier ist stramm um den Schaft gewickelt und mit Schnur festgebunden.

    Mit meinen klebrigen Marmeladefingern löse ich den Zettel vom Pfeil und rolle ihn aus. Sofort erkenne ich Harrys kleine, schiefe Buchstaben. Kontakt. Endlich , steht da, und ich muss einfach kichern. Aus dem Kichern wird ein Riesenlachen, als ich all die anderen Pfeile entdecke, die ums Haus herum im Holz stecken, gerade außerhalb meiner Reichweite. Um jeden Schaft ist ein Papier gewickelt. Das müssen mindestens zehn Pfeile sein, die da in den Hauswänden stecken.
    Und dann schaue ich über das Balkongeländer und sehe, dass einige der Ungeweihten da unten mit Pfeilen im Körper herumlaufen, die ebenfalls mit Botschaften bestückt sind. Nun lache ich so sehr, dass ich mich auf Hände und Knie

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