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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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»Er schafft es nicht.«
    »Mary, du solltest dir das nicht ansehen.« Das ist Harry. Seine Stimme ist leise, ein sanftes Raunen, während er sich über mich beugt.
    »Nein, ich verlasse ihn nicht!« Ich stehe auf, nehme das Seil in die Hände, als könnte ich Travis nach oben ziehen, weg von der Horde dort unten.
    Das Seil erzittert unter meinem Griff, die Vibrationen von Travis’ zuckenden Muskeln laufen durch jeden Strang. Ich möchte die Augen schließen und mich zu Travis rüberschieben, an seiner Seite sein und ihn mit meiner Kraft herüberholen.
    Aber es wäre sinnlos. Unter unserem Gewicht würde das Seil reißen und wir würden beide sterben.
    Ich schaue rüber zu ihm. Er zittert wie ein Köder, den man ins Wasser geworfen hat.
    »Travis.« Meine Stimme ist immer noch ein Knurren, das keinen Widerspruch zulässt. »Travis, du hörst mir jetzt zu! Denk nicht an die Ungeweihten, denk nicht an das Seil. Hör nur auf meine Stimme. Mach die Augen zu und hör auf meine Stimme.«
    Er tut nicht, was ich ihm sage, und ich rucke am Seil. »Tu es!«, brülle ich lauter, als ich je in meinem Leben gebrüllt habe.
    Sofort macht er die Augen zu. »Jetzt will ich, dass du in meine Richtung langst und das Seil packst.« Langsam fangen seine Hände an, sich zu bewegen. Anfangs sieht man es kaum, aber dann greift er mit mehr Vertrauen zu.

    »Ja, gut so, mach weiter«, ermuntere ich ihn, als er seine andere Hand auf uns zubewegt. Das Seil beginnt zu schwingen, und ich spüre, wie es in meinen eigenen Fingern ein wenig mehr nachgibt und an Spannung verliert, weil sich weitere Fasern lösen.
    »Schneller, Travis. Beweg dich ein bisschen schneller.« Er schwitzt jetzt, aber er nickt und bald darauf hangelt er sich aus der Talsenke herauf.
    Die Ungeweihten unter ihm sind wie von Sinnen, weil Blut aus seiner Fessel tritt, die Wade hinunterläuft und vom Knie tropft. Das Stöhnen überrollt uns wie eine physische Kraft, aber Travis kommt trotzdem näher.
    Hinter mir ist die Spannung von Harry und Jed deutlich zu spüren, die wie gebannt zuschauen und Travis leise anfeuern. Sie haben Angst, ihrer Hoffnung zu laut Ausdruck zu geben und seine Konzentration zu stören.
    »Helft ihm«, sage ich, und wie ein Mann rücken sie auf die Stelle zu, wo das Seil auf die Plattform trifft. Als Travis in Reichweite ist, sind sie da.
    Endlich ist Travis sicher auf unserer Seite der Kluft angekommen, und ich breche zusammen, weil mit einem Mal alles so leicht geworden ist.

29
    E s ist dunkel, als ich aufwache. Ich bin allein im Bett, Berge von Decken ersticken mich beinahe. Als ich mich freikämpfen will, streicheln Finger meine Wange. Ein vertrautes Gefühl, ich schließe die Augen.
    »Du hast es geschafft«, flüstere ich und lege meine Hand auf seine. Erleichtert sinkt mein Körper ins Bett zurück.
    Und dann fällt es mir wieder ein. »Dein Bein«, sage ich und richte mich mühsam auf.
    Mit leichtem, aber beharrlichem Druck will er mich in mein warmes Deckennest zurückschubsen. Aber ich leiste Widerstand und bleibe sitzen. »Alles in Ordnung«, versichert er mir. »Ein paar Kratzer.« Er kichert leise. »Die hatte Nägel, scharfe Nägel.«
    Im dämmrigen Licht beobachte ich, wie er sich diese Erinnerung aus dem Kopf schüttelt. Sein Gesicht wirkt ein bisschen abgespannt, da ist ein Anflug von Verzweiflung um die Augen.
    »Aber du hast es geschafft«, sage ich.
    »Das habe ich«, sagt er.

    Einen Moment lang schweigen wir und lauschen der erwachenden Welt, dem Stöhnen der Ungeweihten unten.
    »Wie lange können wir hier durchhalten?«, frage ich schließlich.
    Er zuckt mit den Schultern. Seine Hände liegen jetzt schlaff in seinem Schoß.
    »Sie haben davon geredet, auch so ein System aus Seilen zu bauen, wie wir es benutzt haben, um hierherzukommen. Damit wir zu einem anderen Pfad gelangen, damit wir das Dorf verlassen und von diesen Plattformen fliehen können.« Er redet nicht weiter, steht von der Bettkante auf und guckt aus dem Fenster. »Aber wenn das funktionieren soll, muss auf der anderen Seite jemand stehen.«
    Dann dreht er sich wieder zu mir um. »Einer von uns würde in den Wald rübermüssen, um da das Seil abzuwickeln.«
    »Aber wie? Wie soll einer von uns da hinkommen? Es ist zu weit bis zum Zaun, da sind zu viele …«
    Der Rest des Satzes bleibt zwischen uns in der Luft hängen.
    Travis nickt nicht, sagt auch nichts, sondern zieht nur einen Stuhl von der Wand ans Bett heran, die Stuhlbeine schrammen über das Holz der

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