The Hollow
sich den Sack über die Schulter warf, die enge Treppe hinunterstieg und den Weg nahm, der zur anderen Seite des Friedhofs führte. Also hatte er doch gehört, was ich gesagt hatte. Aber es war mir egal. Das war seltsam.
Ich blieb noch einen Moment lang stehen, in dem Bewusstsein, dass meine Zeit hier noch nicht vorüber war. Ich winkte der Irving-Familie stumm zum Abschied zu, schob mich durch das Tor und ging auf die alte holländische Kirche zu.
Mir war vor Angst ganz flau im Magen, als das steinerne Gebäude groß und eindrucksvoll vor mir aufragte. Zu meiner Rechten sah man die Washington-Irving-Brücke, von der aus Kristen in den Fluss gefallen war. Zu meiner Linken lag Kristens Grab.
Ich blickte in beide Richtungen, unsicher, welchen Weg ich nehmen sollte. Wieder fühlte ich dieses Ziehen. Es war, als zöge mich etwas Unsichtbares zu meinem Ziel und sagte mir, wie ich gehen sollte. Also gehorchte ich und schlug den Weg zur Brücke ein.
Die Washington-Irving-Brücke war ein endloses Projekt, das sich immer noch im Bau befand. Die Rekonstruktion der berühmten überdachten Brücke, über die Ichabod Crane der Legende nach gejagt worden war, sollte eigentlich mehr Touristen anziehen, aber alles, was man bisher erreicht hatte, waren Verkehrsstaus. Und Touristen mögen keine Staus.
Also war dieser Plan voll in die Hose gegangen.
Aufgrund der Verzögerungen durch die Untersuchungen von Kristens Unfall und wegen der bevorstehenden Wintermonate hatte man das Projekt vorläufig auf Eis gelegt. So wie die Dinge augenblicklich liefen, würde es vermutlich weitere drei Jahre dauern, bis die Brücke tatsächlich fertiggestellt war.
Langsam ging ich auf das Flussufer zu und blieb dort stehen. Das Wasser schoss wirbelnd und schäumend vorbei, sein wilder Rhythmus wirkte hypnotisch. Ich fuhr zusammen, als ein Eichhörnchen im Baum neben mir anfing zu keckem, und ging weiter. Auf die Brücke zu. Zu unserem Treffpunkt.
Lange bevor die Stadt beschlossen hatte, die Brücke zu rekonstruieren, hatten Kristen und ich uns schon am Crane River getroffen, benannt nach dem hoch aufgeschossenen, liebeskranken Schullehrer aus Washington Irvings Erzählung, der von dem Reiter zu Tode erschreckt wird. Eine von der alten Brücke übrig gebliebene Plattform direkt über einem der neuen Betonpfeiler ergab einen wunderbaren Sitzplatz. Die Holzplanken bildeten eine Art Bank und man konnte die Füße über dem Wasser baumeln lassen. Es gab kein Geländer, an dem man sich festhalten konnte oder das einen auffing, wenn man fiel, man saß buchstäblich über dem Fluss.
Durch die kürzlich fertiggestellten Bauarbeiten war es etwas schwieriger, die Plattform zu erreichen, aber ich schaffte es noch gerade so. Ich kletterte den Pfeiler hinauf, zwängte mich auf die Plattform und schaute auf das Wasser. Die Sonne schien mir warm ins Gesicht, aber innerlich war mir kalt. War es wirklich hier passiert, an dieser Stelle? Würde ich nie mehr die Gelegenheit haben, auf dieser Brücke zu sitzen, um mit Kristen zu reden? Es kam mir total unwirklich vor. So hätte mein Leben nicht verlaufen dürfen. Es war nicht fair.
Ein Auto fuhr oben vorbei und ich spürte die Erschütterung bis in die Zehenspitzen, was ich jedoch ignorierte. Stattdessen dachte ich an das vergangene Jahr und an den ersten Tag nach den Ferien, den wir nach der Schule an dieser Brücke verbracht hatten …
»Rat mal, wer mich gefragt hast, ob du dich dieses Jahr für Französisch entschieden hast«, neckte ich Kristen.
Sie riss ihre braunen Augen weit auf. »Wer?«
»Oh, es könnte Trey Hunter gewesen sein.« Mein Pokergesicht machte einem fetten Grinsen Platz. »Er hat mich gefragt, wo du normalerweise sitzt und ob du einen festen Sitznachbarn hast.«
Mein Grinsen wurde noch breiter, als ich sah, wie ihre Augen bei diesen Neuigkeiten aufleuchteten. »Er hat sich sogar sehr nett für meine Auskünfte bedankt. Ich glaube, er mag dich.«
Sie wurde rot und schaute weg. Dann verschwand ihr Lächeln und sie schüttelte den Kopf. »Vermutlich will er mich nur fragen, ob ich meinen Platz mit ihm tausche, oder so was. Ich glaube nicht, dass er wirklich neben mir sitzen will.«
»Das weißt du doch gar nicht, Kristen.«
»Doch, Abbey. Ich … ich weiß es einfach.« Sie zuckte mit den Achseln. Als sie mich wieder ansah, war die traurige Kristen verschwunden und die glückliche Kristen war zurück.
»Ich muss dir das neue T-Shirt zeigen, dass ich bekommen habe«, sagte sie
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