The Hollow
mit der Verwandtschaft. Deshalb ließ ich mich, kaum dass wir angekommen waren, auf ein altes Ledersofa in Onkel Bobs Büro fallen. Als ich wach wurde, hörte ich, wie sich Mom und Dad nebenan mit Onkel Bob unterhielten. Leise schlich ich mich in den Vorratsraum, um mir ein paar Gratisproben zu besorgen. Ich wusste, dass Onkel Bob mich so viel Eis probieren lassen würde, wie ich wollte, Mom dagegen war eine andere Geschichte.
Im Vorratsraum war es dunkel und kalt, die Tiefkühltruhen jedoch glänzten und schienen ganz neu zu sein. Sie waren wahrscheinlich das Einzige, was hier neu war. Onkel Bob hatte versucht, den größten Teil des Ladens im Stil der 50er-Jahre zu gestalten, aber es sah eher alt und heruntergekommen aus als alt und stilvoll.
Nach elf Gratisproben konnte ich kein Eis mehr sehen und ging zurück in Onkel Bobs Büro. An den Wänden hingen ein paar alte Fotos. Die meisten trugen die Unterschrift von irgendwelchen Leuten, die irgendwann einmal hier gewesen waren. Ich erkannte ein paar Berühmtheiten und zwei Sänger, aber alle anderen konnte ich nicht identifizieren. Die Bilderrahmen sahen staubig und angeschlagen aus und hätten schon vor etlichen Jahren erneuert werden müssen. Ich schüttelte den Kopf, als ich auf meinem Rundgang weitere Zeichen der Vernachlässigung entdeckte, und schwor mir, dass mein Laden niemals so aussehen würde.
Auch der Schreibtisch bewies, dass Ordnung offensichtlich nicht an oberster Stelle von Onkel Bobs Prioritätenliste stand. Überall standen Kartons.
Und jeder einzelne war wahllos mit Papieren, Quittungen und ungeöffneten Briefumschlägen vollgestopft. Unter dem Tisch neben einem Stuhl stand ein großer Karton mit der schwarzen Aufschrift »FÄLLIG«. Auch er quoll förmlich über. An der Wand stand ein Aktenschrank mit einer halb geöffneten Schublade, die bei näherem Hinsehen nichts als leere Schnellhefter enthielt.
Ich schaute mich im Raum um und fand, dass ein bisschen Aufräumen mehr als angebracht war. Ein Büro, in dem ein solches Chaos herrschte, konnte nicht funktionstüchtig sein. Und wenn Onkel Bob nicht funktionstüchtig war, würde er seinen Laden verlieren. Ich wollte nicht, dass das passierte. Außerdem wäre ich beschäftigt, solange Mom und Dad ihm in allen Einzelheiten erzählten, was alles passiert war, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Das würde eine Weile dauern.
Ich warf meinen fast leeren Probierbecher in den nächsten Mülleimer, schwor mir, nie wieder Erdnussbutter-Ananas-Eis zu essen, und begann mit der Arbeit.
Ich fing mit dem Schreibtisch an, auf dem sich fast ein halber Meter Post angesammelt hatte. Wo auch immer ein freies Fleckchen war, um Post abzulegen oder zu stapeln, war Post abgelegt und gestapelt. Und daneben war noch mehr Post abgelegt und gestapelt. Es war ein einziges riesiges Chaos.
Ich war so vertieft in meine Aufgabe, dass ich die Zeit aus den Augen verlor und erst aufhörte, als ich lauter werdende Stimmen hörte. Mir wurde klar, dass sie nach mir riefen, und ich rannte zu ihnen.
Mom warf mir einen seltsamen Blick zu und fragte, ob ich zu beschäftigt wäre, um zum Mittagessen zu gehen. Ich hatte keine Ahnung, was sie meinte, bis ich auf meine Jeans sah und die Spuren von Staub auf einem Hosenbein entdeckte. Ich rieb sie schnell weg und suchte nach einer Erklärung. »Ich habe nur … ein paar … ein paar Bilder an der Wand abgestaubt«, sagte ich verlegen.
Offenbar nahm sie mir die lahme Ausrede ab, weil sie nichts weiter sagte. Dad und Onkel Bob kamen hinter uns her, als wir uns auf den Weg machten.
Die Pizzeria war so gut wie leer und der Inhaber persönlich bereitete unsere Pizzas zu und brachte sie an unseren Tisch. Onkel Bob war gerade mitten in der Geschichte, wie er im letzten Jahr den Thanksgiving-Truthahn in Brand gesetzt hatte, als die kleine Glocke über der Tür klingelte und Ben hereinkam.
Eigentlich hätte ich überrascht sein müssen, ihn hier zu sehen, aber das war ich nicht. Ich versuchte, ihn nicht direkt anzusehen, und rutschte auf meinem Stuhl hinunter, doch er hatte mich bereits entdeckt. Eine Sekunde später klingelte die Glocke erneut und ein bekannt aussehendes Mädchen kam herein. Wahrscheinlich ging sie in meine Schule.
»Schaut nicht da hinüber«, zischte ich allen an meinem Tisch zu. Wie auf ein Stichwort drehten sie sich um und starrten auf die Tür. »Ich habe gesagt, nicht hinschauen«, stöhnte ich. »Das sind Leute, mit denen ich zur Schule gehe, und ich
Weitere Kostenlose Bücher